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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Vorfall sei eine Auszeichnung zur Zeit unangebracht, versprach ihm jedoch, sie in zwei Jahren nachzuholen. Die Geschichte hatte Vater sehr gekränkt. Er brach jeden Kontakt mit dem Werk und den Arbeitskollegen ab. Da er keine Freunde hatte, saß er jetzt nur noch zu Hause.
    Mutter sagte, sie habe es sehr schwer mit ihm, und dabei streichelte sie meine Hand. Ich wußte nicht, was ich ihr antworten könnte. Es erschien mir seltsam, sie irgendwie trösten zu sollen. Sie mußte es ja ohnehin allein durchstehen. Und wenn ich sie streichelte, würde sie nur wieder anfangen zu weinen.
    Dann erzählte sie, daß sie Hinner getroffen habe. Hinner ist mein geschiedener Mann. Er sei sehr, sehr nett zu ihr gewesen, habe sie in die Stadt mitgenommen und sei extra ihretwegen einen großen Umweg gefahren. Er werde voraussichtlich bald Oberarzt. Verheiratet sei er nicht wieder (er kommt nicht von dir los, Mädel). Er habe sich eingehend nach mir erkundigt und würde mich gern einmal wiedersehen. Ob ich ihn denn nicht auch sehen möchte. Ich sagte ihr, sie möge keine alten Geschichten aufwühlen, es sei zwecklos. Bei seinen fabelhaften Erfolgen wird er in der Klinik gewiß ausreichend weibliche Aufmerksamkeit haben. Mutter sagte, Hinner sei ein sehr feiner Kerl, der die früheren Dummheiten bedaure. Ich solle ihm doch eine Chance geben und nicht so nachtragend sein. Ich solle auch an mich denken, man werde ja nicht jünger. Ich sagte, daßich ihn nicht wegen seiner Weibergeschichten verlassen habe, sondern weil die ganze Sache einfach ein Irrtum gewesen sei. Etwas grob fügte ich hinzu, sie solle endlich aufhören, die Kupplerin zu spielen.
    Mutter weinte dann wieder ein bißchen und erzählte noch von den Nachbarn. Als sie ging, fragte sie mich, ob ich nicht auch fände, daß es schön gewesen sei, sich einmal richtig auszusprechen. Ich verstand nicht, was sie meinte, sagte aber, ich fände es auch.
    Mutter war erleichtert.
    Ich konnte lange nicht einschlafen und nahm schließlich zwei Tabletten.
    Beim Frühstück fragte Mutter, ob ich noch immer soviel rauche, und Vater wollte wissen, was ich über China denke. Ich sagte, daß ich noch immer viel rauche und über China nicht sehr viel wisse. Vater erklärte mir lange, weshalb China so ein brennendes Problem für uns sei. Dann erkundigte er sich, ob ich die Entwicklung in Surinam verfolgt habe, und wurde wütend, weil ich nicht wußte, wo das Land liegt. Er sagte, daß ich ein studierter Schwachkopf sei, weil ich keine Zeitung lese. Er habe seine Kinder politisch erzogen, und er sei von mir enttäuscht. Ich sagte ihm, daß ich zur Zeit viele Probleme hätte, die mir mehr auf den Nägeln brennen würden als seine Weltpolitik. Und um ihn zu beruhigen, sagte ich, daß ich, wenns mir besser ginge, die Zeitung wieder läse. Damit brachte ich Vater nur noch mehr auf. Er schlug auf den Tisch, daß die Tassen klapperten, und brüllte Mutter an, als sie sich einmischen wollte. Dann ging er in sein Zimmer.
    Mutter meinte, ich solle es nicht so wichtig nehmen. Ich würde ja Vater kennen, und mit ihr würde er solche Szenen auch machen wegen seiner Politik.
    Dann half ich Mutter in der Küche, und anschließend gingen wir zusammen zu Tante Gerda, die zwei Straßen weiter wohnte.
    Tante Gerda ist die Schwester von Mutter, eine dicke, rotgesichtige Frau, die ebenso wie ihr Mann laut und vollkommen ungehemmt redet. Als wir kamen, waren beide in der Küche mit der Zubereitung eines Kaninchens beschäftigt. Wir setzten uns ins Wohnzimmer. Onkel Paul brachte selbstgemachten Johannisbeerlikör, der süß und klebrig war.
    Sie sprachen über mich und wie ich in Berlin lebe. Onkel Paul sagte, daß er es nicht verstehen könne, wieso ich nicht wieder in festen Händen sei, eine so fesche Person. Er begreife die heutigen Männer nicht. Zu seiner Zeit sei man ganz anders rangegangen. Dabei faßte er meine Brust an. Tante Gerda kreischte auf und schlug ihm auf die Finger, und Mutter war angewidert. Onkel Paul meinte, die beiden sollten sich nicht so haben. Ich sei schließlich schon immer sein Liebling gewesen. Tante Gerda gab ihm noch einen Likör und schob ihn dann in die Küche. Er sollte das Kaninchen spicken.
    Dann zeigte mir Tante Gerda ihre geschwollenen Krampfadern und erzählte, was ihr der Arzt gesagt habe. Sie wollte wissen, was ich davon hielte, und ich sagte ihr, daß ihr Arzt in Ordnung sei. Mutter und Tante Gerda sprachen dann über eine neu eröffnete Kaufhalle, und ich ging in die Küche

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