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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Zimmer. Ich hatte Hunger, aber die Küche war durch die Fotosachen verstellt. So trank ich nur einen Kognak und legte mich hin.
    Am nächsten Morgen – ich stand spät auf, ich hatte Nachmittagsdienst – klingelte ich bei Frau Rupprecht. Es ging ihr wieder gut, ihre Augen waren klar. Sie entschuldigte sich nochmals, und ich sagte ihr, sie solle aufhören, sich immerfort zu entschuldigen. Sie lud mich zu einer Tasse Kaffee ein, doch ich sagte, daß ich keine Zeit hätte. Dann erzählte sie von einem Flugzeugunglück in Spanien. Sie habe es im Radio gehört. In der Nacht war eine Passagiermaschine abgestürzt. Sie fragte mich, ob es möglich sei, daß sie deswegen ihre Unruhe habe. Ich sagte ihr, daß ich es nicht wisse, es mir aber nicht vorstellen könne. Sie lachte über sich selbst und sagte: Ich bin ein verrücktes, altes Weib, was.
    Ich war erleichtert, daß es ihr gut ging, und sagte es ihr. Dann verabschiedete ich mich.
    Den Vormittag über trocknete ich die restlichen Fotos und räumte Küche und Bad auf. Dann bereitete ich mirFrühstück. Zwischendurch fuhr ich mit dem Fahrstuhl hinunter, um nach Post zu sehen. Es waren nur die Zeitungen und die Telefonrechnung da. Kurz vor zwölf machte ich mich auf den Weg in die Klinik. Während der Fahrt überlegte ich, was ich mit den Bildern anfangen sollte. Ich würde sie gern eine Zeitlang im Zimmer aufhängen. Doch es waren zu viele. Wahrscheinlich würde ich sie einfach wegpacken. Für irgendein Später, das es nie geben würde.
    Die Bilder nach Hause zu schicken hatte keinen Zweck. Mutter würde jedes Foto aufmerksam durchforschen, um etwas über mich zu erfahren. Sie hoffte immer noch, sich an meinem Leben beteiligen zu können.
    Ich dachte an Frau Rupprecht, daran, daß ich öfter mal nach ihr sehen sollte. Ihre Unruhe war sicherlich nur ihre Einsamkeit.
    Vor der Klinik gab es keine Parkmöglichkeit. Ich mußte in eine Seitenstraße fahren, um den Wagen abzustellen.

8
    In der Stadt waren jetzt viele Touristen. Sobald aber die Geschäfte schlossen, wurden die Straßen leer und wirkten ausgestorben wie immer.
    Mit Henry ging ich oft in unserem Park spazieren. Zweimal waren wir im Kino. Es gab amerikanische Unterhaltungsfilme, in denen vor allem Verfolgungsjagden zu sehen waren. Unentwegt stürzten Autos in Abgründe und explodierten. Im Kino war stickige Luft. Während der Film lief, ging ich hinaus. Das Gefühl, die Ausdünstungen meiner schwitzenden Nachbarn einzuatmen, verursachte bei mir so etwas wie Platzangst.
    An einem Sonnabendmorgen machte ich mit Henry einen Einkaufsbummel. Wir kauften für ihn einen Anzug. Es war ein dunkler Zweireiher mit Nadelstreifen, und Henry sah in ihm elegant aus. Er meinte zwar, daß er ihn sicher nie tragen würde, aber er kaufte ihn. Ich suchte nach Gebrauchskeramik und Kosmetika, und Henry begleitete mich geduldig überallhin.
    In der Klinik gab es für mich viel zu tun. Da Urlaubszeit war, bekam ich zusätzliche Patienten in meine Sprechstunden. Zweimal mußte ich Bereitschaft übernehmen. Wenn ich nach Hause kam, war ich zu müde, um noch etwas zu tun. An solchen Tagen bin ich mit meiner Wohnung zufrieden. Sie ist so klein und ausreichend komfortabel, ich kann einfach alles fallen lassen.
    Störend war die Hitze. An heißen Sommertagen staut sich die Wärme im Zimmer. Abends lasse ich bei geöffneten Türen lange die Dusche laufen, was aber wenig hilft. So schlafe ich schlecht ein und werde vom Straßenlärm früh geweckt.
    Anfang September rief mich Mutter in der Klinik an. Siesagte, daß es Vater nicht gutgehe. Als ich fragte, ob ich kommen solle, sagte sie, daß sie nicht deswegen anriefe. Ich sagte ihr, daß ich jederzeit einen Urlaubstag nehmen könnte, wenn es Papa schlechtgehe. Sie erwiderte, es sei nicht schlimm, nicht so schlimm. Sie wollte nur meine Stimme mal wieder hören. Ich versprach ihr, sie bald zu besuchen.
    Nach dem Gespräch überlegte ich, ob ich mit Henry zu den Eltern fahren sollte. Aber ich kannte Mutter. Sie würde sich so intensiv um Henry und mich kümmern, daß der Besuch eine einzige Verlegenheit werden würde.
    Am Abend schrieb ich an Vater. Ich versuchte, herzlich zu sein. Ich wollte ihm einen langen Brief schreiben, doch nach einer halben Seite voller Floskeln fiel mir nichts mehr ein, und ich entschuldigte mich dafür. Auf dem Weg zur Post zerriß ich den Brief. Er erschien mir verlogen. Ich hätte Vater gern einen freundlichen Gruß geschrieben, aber wenn ich das leere Papier vor mir

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