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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Henry fragte, wer das gewesen sei. Ohne meine Antwort abzuwarten, sagte er, ihm sei dieser Mensch unangenehm. Ich erwiderte nichts.
    Henry sprach dann über Prag. Er entschuldigte sich, daß er nicht angerufen habe. Von seinem Hotel aus waren keine Ferngespräche zu führen, und auf der Post sagte man ihm, er müsse mindestens zwei Stunden warten. Er fragte mich, ob ich verstehe, daß er nicht zwei Stunden lang in einer Prager Post herumsitzen könne. Er war direkt vom Flughafen zu mir gekommen. Ich bot ihm an, Essen holen zu lassen oder Kaffee. Er wollte nichts.
    Bis halb zwölf blieb es auf den Stationen ruhig. Zweimal bat mich die Schwester hinaus, den Rest erledigte sie allein. Sie wollte mich nicht stören.
    Ich lag auf der Pritsche, Henry saß neben mir und erzählte. Ich lauschte mehr seiner Stimme als dem, was er sagte. Später rückte er mit dem Stuhl zu mir. Er knöpfte an meiner Bluse, und ich sagte ihm, er soll das bleiben lassen. Er verstand nicht, warum wir jetzt nicht miteinander schlafen konnten. Er war verärgert. Ich sagte ihm, daß er nicht die ganze Nacht bei mir sitzen könne und nach Hause gehen solle. Er blieb jedoch. Er mußte am nächsten Tag nicht zur Arbeit.
    Es war mir angenehm, ihn neben mir zu wissen. Ich fühlte mich gelöst und geborgen. Die Geräusche von draußen drangen kaum bis zu mir. Einmal schlief ich sogar kurz ein. Henry bemerkte es nicht, jedenfalls sagte er nichts dazu.
    Kurz vor Mitternacht wurde ich zu einem Ehepaar rausgeholt.Die Frau hatte nervöse Herzbeschwerden. Sie schlief seit Tagen im Sitzen. Ich unterhielt mich mit beiden, machte ein Elektrokardiogramm und gab ihr eine beruhigende Spritze. Ich sagte, daß diese Fälle in der Mehrzahl keine organischen Ursachen haben, sondern in gestörten Beziehungen zur Umwelt wurzeln. Ich fragte sie über ihre Arbeit aus und das Verhältnis zu ihrem Mann. Ich konnte nicht verhindern, daß sich die Frau erregte. Sie verwahrte sich gegen meine angeblichen Unterstellungen, sagte, daß sie keine Probleme mit ihrer Arbeit habe, daß sie von allen geschätzt werde. Ihre Ehe sei völlig intakt, sie habe es nicht nötig, mit eingebildeten Krankheiten die Aufmerksamkeit ihres Mannes zu gewinnen. Ich versuchte ihr zu erklären, daß nach meiner Ansicht ihre Herzbeschwerden nicht eingebildet, sondern Folge seelischer Störungen seien. Sie war hektisch gerötet, als sie erwiderte, ich sei offenbar der Ansicht, sie gehöre zum Psychiater. Nein, sagte ich.
    Ich gab ihr Tabletten mit, die ihr nicht helfen, aber auch nicht schaden würden. Sie sagte, sie würde einen anderen Arzt aufsuchen, und ich riet ihr zu. Sie hatte kein Vertrauen zu mir, und so hatte es keinen Zweck. Sie ging grußlos aus dem Zimmer. Ihr Mann war müde. Er schien wenig verstanden zu haben.
    Wenn Sie recht haben sollten, sagte er endlich, wäre es schlimm. Dann wird ihr kein Arzt helfen können.
    Ich nickte. Von draußen kam die schrille Stimme der Frau. Sie rief nach ihrem Mann. Jaja, sagte der und stand auf. Er blieb stehen und sah mich nachdenklich an.
    Ihre Frau wird nur aus eigener Kraft gesund werden. Vielleicht werden Sie in Ihrer Ehe einiges ändern müssen, wir können nur Hilfestellungen geben, sagte ich.
    Ich weiß nicht, ob sie soviel Mut aufbringt, meinte er. Wieder rief ihn die Frau. Er gab mir die Hand und bedankte sich. Dann ging er.
    Inzwischen hatte unser »Nachtasyl« begonnen. Im Korridorder Rettungsstelle saßen Verletzte und Angetrunkene. Einige warteten auf die Behandlung, andere auf den Heimtransport. In den zwei Untersuchungszimmern lagen drei Betrunkene hilflos und blutverschmiert. Ab und zu wurde einer laut, und ein Pfleger oder eine Schwester begann zu brüllen. Nach Untersuchung und Behandlung werden sie entlassen oder kommen in Gewahrsam.
    Um halb eins wurden uns drei Männer zur Blutentnahme gebracht, die die Polizei aus ihren Autos geholt hatte. Einer von ihnen drohte uns fortgesetzt, daß wir von ihm hören würden. Ein anderer atmete heftig durch den Mund, er war fürchterlich aufgeregt. Als ich ihn bat, seinen Arm frei zu machen, flüsterte er, er würde mir fünfhundert Mark geben, wenn ich ihm behilflich wär. Wörtlich sagte er: Wenn Sie etwas dran drehen. Ich sagte laut zu ihm, er solle den Mund halten. Der Mann blickte zum Polizisten hinüber, der uns gleichgültig zusah. Dann schwieg er. Als er hinausging, warf er mir einen haßerfüllten Blick zu.
    Ich verabschiedete Henry. Er sollte nach Hause fahren. Ich wollte nicht, daß er die

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