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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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damals, daß ich mich von ihm trennen würde. Er machte mir keine Vorwürfe. Er war nur tief erschrocken. Er tat mir leid, aber das war schließlich kein Grund, ein Kind zu bekommen.
    Nach beiden Unterbrechungen war ich körperlich völlig verausgabt. Ich war todmüde und hatte nur den Wunsch auszuruhen.
    Ich war verzweifelt, ohne sagen zu können weshalb. Ein dumpfer Schmerz im Hinterkopf, der es mir unmöglich machte, mehrere Stunden hintereinander zu schlafen. Es war kein Schuldgefühl, und nichts hatte mich an dieses in mir wachsende Etwas gebunden, als daß mich ein Verlust ängstigte. Wahrscheinlich kam die Verzweiflung aus der körperlichen Schwäche. Mit den Kindern hatte ich nichts zu tun. Ich war nicht daran beteiligt. Es geschah nur mit mir. Ich hatte sie nicht gewollt und bekam sie gegen meinen Willen. Ich fühlte mich von ihm benutzt. Eine austragende Höhle, die Amme seiner Embryos. Ich hatte kein Kind gewollt, und er konnte es dennoch in mir entstehen lassen. Ich blieb ungefragt, ich zählte nicht, ich war nicht beteiligt, ich war das Objekt. Während er mir ins Ohr flüsterte, stöhnte, Liebesbeteuerungen wiederholte, entschied er über mich, meinen Körper, mein weiteres Leben. Ein monströser Eingriff, der meine ganze Zukunft bestimmen sollte, ein Eingriff in meine Freiheit. Ich schlief gern mit ihm, wir kamen, wie man so sagt, im Bett gut miteinander aus. Nicht der Sex war unsere Schwierigkeit, wenn auch Hinner es später überraschenderweise vermutete. Als ich sagte, daß wir uns trennen sollten, weil wir nichts miteinander zu tun haben, fragte er sofort, ob ich mit ihm als Mann unzufrieden sei. Ich versuchte es ihm zu erklären, aber er verstand mich nicht. Er glaubte dann, es läge an seinen abgeschmackten Abenteuern mit Schwesternschülerinnen. Alle unsere Probleme mündeten für ihn in den geschlechtlichen Beziehungen. Die Furcht, als Mann zu versagen, darin bestand seine Angst, die ihn taub machte für unsere tatsächlichen Schwierigkeiten. Seine Reaktion war wohl die üblich männliche. Ein Produkt der jahrhundertealten Männergesellschaft: Verlust an Menschlichem durch Ausüben von Herrschaft. Eine Herrschaft, die das Geschlecht als das primär Unterscheidende und Dominierende ansieht, muß ihm übermäßige Bedeutung beimessen.Im Denken und in der Phantasie, in den Gesprächen und Witzen der Männer beansprucht der Sex das Primat. Das Thema Nummer eins, lastend, drückend, übermächtig. Eine Befreiung, die bis zur Verweigerung führt, zur Impotenz, eine Domäne der Männer, ein Freiraum, Urlaub von der bedrückenden Pflicht. Da ist die Anwesenheit von Frauen unschicklich, Verrat, Störfaktor von Herrenabenden. Andrerseits das Kokettieren mit ebendiesem Verrat, um einen männlichen Freiraum, eine Freiheit zu markieren, wie einen sorgsam gehüteten Schatz, von dem man stolz, verhalten, begeistert, schmierig berichtet. Er soll verborgen bleiben, damit man seiner nicht verlustig geht, und man muß von ihm erzählen, um als sein Besitzer erscheinen zu können. Anders konnte ich mir Hinners Reaktion nicht erklären. Er verteidigte, was er bedroht glaubte.
    Frauen, denke ich, nehmen Sex leichter, unangestrengter. Natürlicher, weil ihr Geschlechtsteil auch Arbeitswerkzeug ist. Gebären ist Arbeit. Das verhindert verklärende Sichten wie ängstigende Vorstellungen. Ein gleichfalls Männer beunruhigendes Verhalten, weil es die Norm verrückt, ihre Norm, das Normale. Sie bekämpfen es daher, bestrafen es: Um das Ritual ihres Glaubens, ihrer sexuellen Vorstellungen ungefährdet zu erhalten und als einzig gültig zu behaupten, verdammen sie das andere, das nicht Fügsame, das sich ihnen und ihren Phantasien nicht unterwirft, als frigid. Ein notwendiges Ritual. Ein Exorzismus der Angst. Gefangene in der Welt ihrer Vorstellungen.
    Hinners Angriffe berührten mich nicht. Und für Mitleid mit ihm reichte meine Kraft nicht. Ich hatte mit seinem Kind nichts zu tun. Ich bekam es so unbeteiligt, wie es aus mir entfernt wurde. Ein Objekt anderer. Ich lag auf einem Bett, einem Stuhl, die Beine angeschnallt, die Scham rasiert, wegrasiert, eine Spritze, eine Betäubung, ein leichter Schmerz von einer auf mich träufelnden Flüssigkeit. Dann Benommenheit, durch die einzelne, zusammenhangloseWorte in mein Bewußtsein schwimmen. Vergeblicher Versuch, mich zu erreichen. Fortwährend höre ich meinen Namen, bittend, fordernd, ängstlich. Ich bin untergetaucht, unterhalb meines Bewußtseins, meiner selbst. Ich weigere

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