Der fremde Freund - Drachenblut
Drängen meiner Eltern und der Lehrer, die Freundschaft mit Katharina zu beenden, wollte ich keinesfalls nachgeben. Wir schworen unter Tränen, uns ewig treu zu bleiben. Und doch waren wir bereits ein halbes Jahr später die erbittertsten Feindinnen.
In der achten Klasse freundete sich Katharina mit dem Sohn des Kantors an, der in Naumburg Kirchenmusik studierte. An den Wochenenden war er in G., und Katharina hatte nun weniger Zeit für mich. Und wenn sie mir auch ausführlich ihre Verabredungen mit dem Kantorssohn unddie Gespräche schilderte, ich empfand doch, daß etwas Fremdes zwischen uns getreten war. In meine Liebe zu Katharina mischte sich argwöhnende Eifersucht. Die Belastungen unserer Freundschaft durch meine Eltern und Lehrer, die Entscheidung der Schulbehörde, die mich privilegierte und Katharina ihres Glaubens oder ihrer Brüder wegen benachteiligte, die zunehmende Verbitterung der Mutter meiner Freundin, die ihre Tochter ungerecht behandelt sah und dem Entschluß der Söhne, das Land zu verlassen, um im westlichen Deutschland ihr Glück oder zumindest ihr weiteres Leben zu finden, nun nachträglich zustimmte und ihn offen verteidigte, all dies schwebte unausgesprochen über uns. Immer häufiger trennten wir uns im Streit. Manchmal vergingen Tage, ehe wir uns wieder trafen. Das gegenseitige Mißtrauen in uns wuchs, und selbst die Zurückhaltung in unseren Gesprächen, darum besorgt, den anderen nicht zu verletzen, trennte uns und machte uns einander fremd. Schließlich genügte die dumme, hämische Verleumdung einer Mitschülerin, um unsere Freundschaft zu beenden. Ein Mädchen denunzierte mich bei Katharina, und Katharina glaubte ihr, ohne mit mir zu sprechen. Und ich, obwohl ich die hinterhältige Lüge leicht hätte widerlegen können, tat nichts. Eine Mädchenfreundschaft war zerstört, die schon Wochen oder Monate zuvor zerbröckelte und von ihr und mir nur noch notdürftig dahingeschleppt worden war. Und allein der unversöhnliche Haß zweier unglücklicher Mädchen wies auf die Spuren einer Liebe hin, einer tödlich verletzten Liebe.
Ein paar Wochen später kam der Tag, an dem ich mich zum ersten Mal öffentlich gegen Katharina wandte.
Nach dem Unterricht sollten wir alle im Klassenzimmer bleiben. Es handelte sich um eine erneute Aussprache über unseren Eintritt in den sozialistischen Jugendverband. Katharina war die einzige Schülerin, die sich weigerte, einen Aufnahmeantrag zu stellen. Nur ihretwegen mußten wirlänger in der Schule bleiben, und nur ihretwegen wiederholte die Lehrerin die uns bekannten Argumente und Losungen. Wir saßen gelangweilt in den Bänken, ließen, die verlorene Zeit bedauernd, den Wortschwall über uns ergehen und murmelten, von der Lehrerin zur Stellungnahme aufgefordert, gehorsam nach, was sie uns in den Mund legte.
Katharina saß blaß und kerzengerade auf ihrem Platz. Sie war aufgeregt. Der Eintritt in den Jugendverband wurde uns als eine Entscheidung für den Weltfrieden dargestellt, und Katharina hatte den massiven Schlußfolgerungen der Lehrerin so wenig entgegenzusetzen. Sie beteuerte, gleichfalls für den Frieden zu sein, doch die logisch wirkenden Verknüpfungen der Lehrerin, die Weigerung, in den Jugendverband einzutreten, sei gleichbedeutend mit Kriegshetze, knüppelten Katharina nieder und machten sie stumm.
Wir anderen hörten uninteressiert und mürrisch den bekannten Phrasen zu und warteten nur darauf, endlich gehen zu können. Katharinas Weigerung kostete uns Freizeit, ihre Hartnäckigkeit erschien uns aussichtslos und unkameradschaftlich. Wir wollten nach Hause und mußten zum wiederholten Male ihretwegen länger in der Schule bleiben.
An jenem Tag meldete ich mich, wobei ich mich nach Katharina umwandte. Dann stand ich auf und belustigte mich über die christlich-abergläubischen Ansichten einer gewissen Mitschülerin. Es war eine dumme, witzlose Bemerkung, aber die Lehrerin und die Mitschüler lachten. Katharina wurde flammend rot. Befriedigt über den Erfolg meiner Bemerkung setzte ich mich. Plötzlich stand Katharina auf, kam zu meiner Bank und gab mir unerwartet eine Ohrfeige. Instinktiv trat ich mit dem Fuß gegen ihr Schienbein. Wir schrien beide vor Schmerz auf und heulten, und beide bekamen wir einen Tadel in das Klassenbuch. Es warunsere letzte Gemeinsamkeit, denn auch die Frisuren trugen wir längst verschieden.
In jenem Sommer, in dem wir die Gretchenfrage unseres Glaubens gemeinsam und einmütig entscheiden wollten, zog Katharina
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