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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Gesicht. Dann sauste unser Wagen an dem anderen vorbei. Ich drehte mich um und sah, daß der Fahrer die Tür öffnete und ausstieg, dabei noch immer mit einer Hand auf die Hupe drückend. Dann verschwanden das Auto und der Mann, undwir jagten auf einer schnell unter uns weggleitenden Betonrinne dahin, die unsere Scheinwerfer aus der Finsternis gruben.
    Keiner von uns sagte etwas. Ich hatte instinktiv oder aus Angst ins Lenkrad gegriffen. Ich wußte, daß Henry mit dem Wagen noch rechtzeitig ausweichen würde. Es war alles schnell gegangen, zu schnell, als daß ich überlegen konnte. Und ich wußte, daß Henry mich nicht unabsichtlich geschlagen hatte. Es war keine mechanische, ihn selbst überraschende Abwehrreaktion gewesen.
    Wir saßen im Auto, sahen in die Dunkelheit vor uns, die die Autoscheinwerfer nur schwach zurückdrängten, und schwiegen. Es war mir lieb, daß Henry sich nicht entschuldigte oder Erklärungen abgab. Ich wußte, daß er nicht zu den Männern gehört, die ihre Frauen oder Freundinnen schlagen, aber ich weiß auch, daß irgendwann, in irgendeiner besonders komplizierten und nervösen Situation jeder Mann schlagen wird. Sie werden sich gegenüber anderen Männern zurückhalten können, aber nicht gegen Frauen und Kinder. Es ist nicht unsere Hilflosigkeit, die sie dazu bringt, nicht die Demonstration der Macht des Stärkeren vor dem Wehrloseren. Das würde nicht die Disziplin ihrem eigenen Geschlecht gegenüber erklären. Ich habe von Männern gekränkte Männer gesehen. Von Worten tödlich verletzt sitzen sie lächelnd auf ihren Stühlen. Sie ringen um Fassung, sie werden laut oder noch leiser, sie bleiben höflich oder werden unverschämt. Aber sie schlagen nicht. Sie sind sich ebenbürtig, sie schlagen sich nicht mit jener abfälligen, fast nebensächlichen Handbewegung, wie man ein Tier straft oder antreibt. Auch wenn ihre Auseinandersetzung körperlich wird, sie verlassen nicht die Fairneß der Gleichrangigen. Man schlägt erst, wenn der andere schlagbereit ist. Zeremonielles Aufstellen. Duell mit verinnerlichten Sekundanten. Souveräne im ehrenvollen Kampf.
    Nach der Frau schlägt man wie nach dem Hund, beiläufig, nebenher. Notwendige Erziehungsmaßnahme zum Nutzen des Geschlagenen. Die Umarmung kann dem Schlag unmittelbar folgen. Schließlich, man haßt nicht, man rückt nur etwas zurecht.
    Es ist ein über die Jahrhunderte anerzogenes, fast schon angeborenes Gefühl einer Überlegenheit, das Männer dazu bringt, eine Frau zu schlagen. Irgendwann gibt es für den kultiviertesten, aufgeschlossensten Mann einen Moment, in dem er diesem Trieb seiner Überlegenheit nachgibt. Sie sind dann selbst erschrocken. Erstaunt über ihre Handlung, die so wenig mit ihren »eigentlichen« Haltungen übereinstimmt. Gewöhnlich entschuldigen sie sich sofort, sind über sich vergrämt, betreiben Selbstanalyse, die ihnen irgendeine ausreichende Erklärung beschert. Hinner entschuldigte sich einmal mit den Worten, er habe sich gehenlassen, und er war wütend auf mich, weil ich darüber lachte. Er hatte aber recht, es ist ein Sichgehenlassen. Das gezähmte Raubtier, das irgendwann einmal, unerwartet und für alle unerklärlich, sein Geliebtes zerfleischt. Sie fühlen sich zumindest unbewußt uns überlegen, und ihr Zuschlagen, sosehr es sie auch selber erschreckt, ist erzieherisch, ein Akt göttlicher Pädagogik. Intellektuell sind sie fähig und bereit, die Frau als ebenbürtig, gleichrangig anzusehen. In ihren tieferen Schichten beherrscht sie uneingestanden ihr männliches Selbstwertgefühl, ein Mischmasch aus Verklemmungen und Hochmut.
    Bei meiner Freundin Charlotte traf ich Michael, ihren Mann, einmal in tiefster Verzweiflung an. Er, der herzensgute, alles erlaubende und verstehende Vater, hatte sein Kind geschlagen. Er, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Er war fürchterlich entsetzt über sich, beschimpfte sich in meiner Anwesenheit, holte immer wieder das geschlagene Kind auf seinen Schoß, küßte und streichelte es und bat mit den albernsten Worten um Verzeihung. Mirwar die Szene widerlich. Seine Trauer über die Tat schien ehrlich, aber das, worum er da barmte, war sein mit einer Ohrfeige zerstörtes Selbstwertgefühl. Er selbst hatte seine ihm so wertvolle Kultur zerschlagen und jammerte über den Anblick des sich entlarvenden Barbaren. Mit verzweifelten Reden und mit Streicheln verlangte er von dem Kind, daß dies ihm seine Kultur, seine ihm so wichtige zivilisierte Persönlichkeit

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