Der fremde Freund - Drachenblut
einsilbig machte. Um ihre Brüder beneidete ich Katharina heftig.
Katharina und ihre Familie waren gläubig. Auch darüber führten wir unendliche Gespräche. Mich faszinierten die unglaublichen Geschichten der Bibel, ihre eigentümlich schöne Sprache, die mich völlig widerstandslos machte, und die seltsame, mir gleichzeitig ehrfurchtgebietend und komisch erscheinende Kultur ihrer Religion. Zu den Bibelstunden begleitete ich Katharina, und da ich mich in den Wundertaten und der Leidensgeschichte Christi gut auskannte, erhielt ich von der Religionslehrerin häufig farbige Bildchen, die einen Bibeltext illustrierten.
Mit Katharina hatte ich ein Abkommen getroffen. Wir wollten nicht nur stets die gleiche Haarfrisur tragen, auch in der Frage, ob es einen Gott gebe, an den man folglich zu glauben habe, oder ob die Religion tatsächlich eine Erfindung und ein Betrug am Volk sei, wie wir es in der Schule lernten, wollten wir zu einer gemeinsamen, einheitlichen Entscheidung kommen. In dem Sommer, der unserem 14. Geburtstag folgte, würden wir uns, so war es verabredet, zusammen zu einer Antwort entschließen, um dann, an Gott glaubend oder ihn leugnend, durch eine weitere Gemeinsamkeit verbunden zu sein. Wir befürchteten beide den Protest der Familie, wenn sich in jenem Sommer einevon uns zu einer gegensätzlichen Weltanschauung bereit finden würde, aber davon abgesehen, sahen wir keine Schwierigkeiten. Die Religion wirkte sehr anziehend auf mich, und ich machte mich mit dem Gedanken vertraut, daß ich es sein würde, die ihre Eltern zu überraschen hätte.
Mein Vater war über meinen Besuch der Religionsstunden nicht erfreut, doch nach einem Gespräch mit Mutter entschloß er sich, es als pubertäre Mädchenschwärmerei zu dulden.
Anderthalb Jahre vor jenem Sommer der Entscheidung bat er mich eindringlich, alles zu unterlassen, was mit Kirche oder Religion zu tun habe. Er bat mich auch, meine Freundschaft mit Katharina zu überdenken, da er sich große Sorgen um meinen weiteren Lebensweg mache. Ich verstand ihn nicht, begriff aber, daß er ernstlich beunruhigt war und mir helfen wollte. Trotzdem weigerte ich mich, meine Freundin seltener zu treffen oder sie gar zu verraten.
Von Katharina erfuhr ich, daß Paul, ihr ältester Bruder, im Werk nicht mehr als Brigadier arbeiten dürfe, weil er einer christlichen Jugendgruppe angehöre. Aus dem gleichen Grund sei der Ausbildungsvertrag mit Frieder, dem zweiten Bruder, verändert worden, so daß er nicht in dem erwünschten Beruf würde arbeiten können. Die Brüder erzählten mir, daß im ganzen Landkreis derzeit eine atheistische Kampagne durchgeführt werde. Sie waren verbittert. Besonders empörte sie, daß die Werksleitung bei Katharinas Brüdern und den anderen Betroffenen banale und lächerliche Vorwände suchte, um Maßnahmen zu rechtfertigen, die willkürlich waren und ohne jede rechtliche Grundlage. Katharina weinte, und ich fühlte mich schuldig, weil ich aus einem atheistischen Elternhaus kam.
Wenige Monate später, nachdem der dritte Bruder den Schulbesuch beendet hatte, verschwanden die drei Brüder. Anfangs konnte oder durfte mir Katharina nichts erzählen.Dann hörte ich, daß die drei nach Westdeutschland gegangen seien, und Katharina bestätigte es mir. Die Brüder hatten in Niedersachsen einen Bauernhof gepachtet, den sie zusammen bewirtschafteten.
Meine Eltern baten mich nun häufiger, die Freundschaft mit Katharina zu beenden. Auch in der Schule wurde ich von mir wohlgesonnenen Lehrern versteckt oder sehr direkt darauf hingewiesen, daß diese Freundschaft für mich nicht nützlich sei.
In jenem Schuljahr sollte vom Lehrerkollegium entschieden werden, wer aus unserer Klasse für den Besuch der weiterführenden Oberschule in der Kreisstadt vorgesehen sei. Katharina und ich machten uns beide begründete Hoffnungen. Wir waren seit Jahren die besten Schülerinnen der Klasse.
Im Oktober fiel die Entscheidung. Ein Junge und ich wurden für die Oberschule ausgewählt. Unsere Klassenlehrerin verkündete, daß Katharina die Schule nach Abschluß der achten Klasse verlassen müßte. Die Behörden des Kreises und die Schulleitung seien der Ansicht, es sei nicht gewährleistet, daß sie das Erziehungsziel einer Oberschule unserer Republik erreichen könne.
In diesen Tagen weinten wir beide viel, und ihre Mutter hatte uns unentwegt zu trösten. Sie war es auch, die mich von dem Entschluß, die Oberschule Katharinas wegen nicht zu besuchen, abbrachte. Dem
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