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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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direkt am Meer. Irgendjemand hat erzählt, dass sie jetzt wohl dort wohnt. Aber sie hat ja den Kontakt zu allen Menschen abgebrochen, und deshalb weiß niemand, ob sie dort wirklich immer noch ist.
    »Nein«, antwortete Ingas Mutter auf seine Frage, »näher konnte sie den Ort nicht definieren. Sie hätte das sicher gern getan. Inga ist überhaupt nicht der Typ für derart spontane, unausgegorene Unternehmungen. Sie plant die Dinge gern und will wissen, was auf sie zukommt. Aber Marius meinte, nichts gehe über eine Fahrt ins Blaue. Heute hier, morgen dort, und nie weiß man, was der nächste Tag bringt.« Sie sprach voller Ironie. »Menschen wie er meinen, durch derartige Verhaltensweisen profilierten sie sich als besonders unbürgerlich und unangepasst.«
    Kronborg beschloss, ihre Offenheit zu nutzen, sein Bild, das er von Marius hatte und das noch äußerst unvollständig war, ein wenig zu präzisieren.
    »Sie sind nicht direkt angetan von Ihrem Schwiegersohn? «, fragte er.
    Sie seufzte. »Nein. Nein, wirklich nicht. Ich verstehe bis heute nicht, warum …«
    »Ja?«
    »Warum meine Tochter diesen Mann heiraten musste. Sie war gerade vierundzwanzig, er war zweiundzwanzig. Ich frage Sie, muss man sich in diesem Alter schon fest binden? Aber er hat ziemlichen Druck deswegen gemacht. Inga war wohl auch ein wenig geschmeichelt. Er umwarb sie derart heftig … manchmal wurde es ihr richtig zu viel. Aber er gab ihr auch das Gefühl, eine einmalig begehrenswerte Frau zu sein. Inga ist eine hübsche, intelligente junge Frau, aber sie ist nicht gerade ein Vamp. Sie kannte das nicht, dass ein Mann so hinter ihr her ist. Das hat sie sicher auch ein Stück weit in seine Arme getrieben. Allerdings …«

    Wieder stockte sie, schien unsicher, ob sie ihre Tochter verriet mit ihren offenen Reden gegenüber einem wildfremden Polizeibeamten. Kronborg hielt den Atem an. Er hatte sich ihr gegenüber nicht ausgewiesen, war für sie lediglich eine Stimme am Telefon, die behauptet hatte, zu einem Kriminalkommissar zu gehören. Wäre Ingas Mutter nicht so aufgeregt und durcheinander, sie hätte sich sicher geweigert, auf dieser Grundlage Auskünfte zu geben. Sobald sie begriff, was sie tat, würde ihr Redefluss wahrscheinlich versiegen.
    »Allerdings war es furchtbar schwierig für sie, ihm etwas abzuschlagen«, fuhr sie schließlich doch fort, »und das ist es bis heute. Ob es ums Heiraten ging, oder ob es sich so wie jetzt um die Ferienreise handelte – er hat seine eigene Methode, seine Wünsche durchzusetzen.«
    »Welche Methode?«, fragte Kronborg.
    »Er … wissen Sie, immer wenn Inga nicht so will wie er, fängt er an, ihr vorzuwerfen, dass sie ihn verachtet, dass sie sich ihm überlegen fühlt, dass sie ihm suggerieren will, er sei der Letzte. Ja, das ist ein Lieblingsausdruck von ihm. Der Letzte . Er veranstaltet ein riesiges Theater um das Problem, man wolle ihn erniedrigen und demütigen, und am Ende bekommt er seinen Willen, weil der andere diese Vorwürfe nicht mehr aushält und nur noch diesen einen Weg sieht, sie zu entkräften.«
    »Für eine Partnerschaft scheint mir dieses Verhalten ausgesprochen unzuträglich.«
    »Das ist es. Aber es gelingt ihm jedes Mal, Inga derart in die Enge zu treiben, dass … Sie schlug damals vor zwei Jahren vor, man könne doch eine Weile erst einfach zusammenleben und später heiraten. Marius reagierte darauf mit Depressionen. Er hörte auf zu essen, lag tagelang im Bett und erklärte immer wieder, er könne es nicht verkraften, von Inga zurückgewiesen zu werden. Sie wolle ihm damit klar
machen, dass er nicht gut genug für sie sei. In deinen Augen bin ich der Letzte, sagte er immer wieder, der Allerletzte. Das Ganze spitzte sich so zu, dass sich Inga unversehens eines Tages vor dem Standesamt wiederfand und eine Ehe einging, zu der sie eigentlich noch gar nicht bereit war.«
    Kronborg seufzte unhörbar. Was er da über Marius Hagenau hörte, unterstrich das ausgesprochen ungute Gefühl, das der junge Mann, seitdem er von ihm gehört hatte, in ihm auslöste. Es war durchaus denkbar, dass sie es mit einem Psychopathen zu tun hatten. Er hoffte, dass sich Inga nicht in Gefahr befand. Sie gehörte nicht zum Kreis derer, die Marius als schuldig an dem Desaster seiner Kindheit befinden mochte, aber solange sie sich in seiner Nähe aufhielt, konnte sie unversehens in höchst kritische Situationen geraten. Er musste morgen mit den südfranzösischen Polizeibehörden Kontakt aufnehmen. Auch wenn

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