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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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dieses Haus verlassen.
    Wieder lauschte sie in die Stille hinein. Von oben drang nicht der geringste Laut. Aber dann hörte sie plötzlich ein lautes Klappern und Scheppern, das sie zusammenfahren ließ. In der darauf folgenden Stille hörte sie ihr eigenes Herz hämmern. Dann vernahm sie das Geräusch einer Schublade, die geschlossen wurde, und dann das einer Tür, die auf und zu ging – und die sie endlich einzuordnen wusste: Es war die Kühlschranktür.
    Marius war in der Küche.
    Ihr eben noch jagendes Herz schien für Sekunden auszusetzen, ehe es weitertobte. Er war in ihrer Nähe. Er war unten. Sie hatte seine Schritte auf der Treppe nicht gehört, vermutlich war sie in dem Moment zu intensiv mit ihren Fesseln beschäftigt gewesen.
    Er war nur noch durch den schmalen Flur jenseits der geschlossenen Wohnzimmertür von ihr getrennt.
    Wahrscheinlich kochte er. Vom eigenen Hunger überwältigt oder auch endlich zu der Erkenntnis gelangt, dass er seine beiden Opfer nicht einfach verhungern lassen konnte, hatte er sich endlich und ausgerechnet jetzt herunter in die Küche begeben, um eine Mahlzeit zuzubereiten. Was bedeutete, dass er über kurz oder lang hier im Zimmer aufkreuzen würde, um auch ihr etwas zu essen zu bringen. Oder schon zwischendurch,
während das Essen kochte, um mit ihr zu sprechen. Er hatte Stunde um Stunde mit Rebecca geredet, er hatte aber angekündigt, dass auch sie, Inga, seine Geschichte kennen sollte. Schon bald würde er wieder irgendwelche wirren Fragmente bei ihr loswerden wollen.
    Bis dahin sollte sie verschwunden sein.
    Sie humpelte zur Verandatür, drehte lautlos den Schlüssel um, zog die Tür ganz langsam und vorsichtig auf. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, ob die Scharniere quietschten, aber sie hatte Glück: Ohne das geringste Geräusch von sich zu geben, ging die Tür auf.
    Sie huschte hinaus, atmete tief die warme Nachtluft, die ihr nach der stickigen Atmosphäre drinnen im Zimmer kühl und prickelnd erschien. Ein ganz leichter Wind ließ die Blätter in den Bäumen rascheln. Inga war noch immer voller Angst, aber es tat ihr unendlich gut, sich wieder bewegen zu können.
    Eigentlich hatte sie um das Haus herum nach vorne auf die Straße laufen wollen, aber da Marius sich nun in der Küche aufhielt, deren Fenster nach vorne ging, kam dieser Weg natürlich nicht mehr in Frage. Trotz der Büsche und Bäume vor dem Haus gab es zu große Lücken, in denen sie keine Deckung hatte und sich – im Mondlicht deutlich sichtbar – offen bewegen musste. Wenn Marius sie dabei entdeckte, hätte sie keine Chance, ihm zu entkommen. Ihre Beine waren weich wie Pudding und schmerzten höllisch bei jeder Bewegung. Sie konnte froh sein, wenn sie überhaupt irgendwie vorankam.
    Es blieb ihr nichts anderes übrig, als den hinteren Garten zu durchqueren und die Treppe hinunter zu nehmen. War sie erst dort unten, wollte sie die andere Treppe, die zum Grundstück der Nachbarn führte, wieder hinauflaufen. Wenn sie ganz großes Glück hatte, waren die Leute da, dann konnte
sie von dort aus die Polizei informieren. Allerdings glaubte sie nicht recht daran. Sie hatte während der Tage mit Rebecca nie eine Bewegung nebenan wahrgenommen, und auch an jenem Nachmittag, den sie am Wasser verbracht hatte, war niemand von dort aufgetaucht. So fürchtete sie, dass das Haus leer stand. Das machte ihre Situation komplizierter, aber nicht aussichtslos. Sie konnte über das Nachbargrundstück nach vorn auf die Straße gelangen und dann den Weg nach Le Brusc einschlagen. Sie musste allerdings an Rebeccas Haus vorbei, und wer wusste, ob Marius nicht ihren Plan durchschaute und ihr dort irgendwo in der Dunkelheit auflauerte? Sie gab sich keiner Illusion darüber hin, dass er vermutlich innerhalb der nächsten Viertelstunde ihre Flucht entdecken würde. Vielleicht konnte sie im Schutz der verlassenen Gärten auf der anderen Straßenseite an ihm vorbeigelangen.
    Steh nicht hier und grüble, befahl sie sich, du musst weg!
    Ihre Schmerzen mit zusammengebissenen Zähnen ignorierend, bewegte sie sich schwerfällig wie ein angeschossenes Tier durch den nächtlichen Garten. Wie spät war es eigentlich? Egal, völlig egal. Zwei – oder dreimal sah sie sich um und blickte zum Haus zurück. Ständig erwartete sie, die Lichter im Wohnzimmer aufflammen zu sehen und Marius’ wütendes Gebrüll zu vernehmen. Sowie er das Terrassenlicht einschaltete, würde er den Garten zu einem großen Teil erleuchten. Allerdings musste sie

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