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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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neben dem Küchentisch und starrte die Tabletten an und fragte sich, was sich geändert hatte. Weshalb war sie nicht mehr in der Lage, das zu tun, was sie noch vor wenigen Minuten mit innerem Frieden und einer so lange nicht mehr gekannten Gelassenheit erfüllt hatte? Das Klingeln eines Telefons. Eine Stimme, die sie lange nicht mehr gehört hatte, die ihr aber noch immer vertraut war. Ein fröhliches Lachen.
    Oh, verdammt! Sie ballte die rechte Hand zur Faust und schlug mit aller Kraft auf die Tischplatte. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihr Gelenk, aber es kam ihr vor, als gehöre er nicht zu ihr, als spiele er sich irgendwo anders, ganz weit weg von ihr ab. Der Typ hatte ihre Einsamkeit gestört, das war es, er hatte mit seinem Anruf den Kokon zerrissen, in den sie sich eingesponnen hatte, und dieses völligen Alleinseins mit sich selbst, dieser absoluten Ausgrenzung der Welt hatte es bedurft, damit sie den Punkt erreichte, an dem sie heute Morgen kurz nach dem Aufstehen angelangt gewesen war: den Punkt, sich zu erlauben, mit dem Leben aufzuhören.
    Der Prozess war so lang, so schwierig und so schmerzhaft gewesen, dass sie vor Wut und Enttäuschung hätte weinen mögen. Was ebenfalls ein völlig neues, längst vergessenes Gefühl
war: Tränen, die hinter den Augen brannten und jeden Moment hervorstürzen wollten. Die Letzten hatte sie kurz nach Felix’ Tod geweint. Dann nicht mehr. Ihre Trauer war von einer Art gewesen, die Tränen erstarren ließ.
    Jetzt konnte sie von vorne beginnen. Die Welt hatte den Arm nach ihr ausgestreckt, hatte sie berührt, hatte ihre Tränen gelöst. Man konnte auch sagen, irgendjemand hatte sie gepackt und vom Rand der Klippe weggerissen, von der sie gerade hatte springen wollen. Was einen Aufschub bedeutete, weil sie nun den weiten, steilen Weg zur Klippe hinauf von neuem beginnen und unter Aufbietung all ihrer Kräfte Schritt um Schritt erwandern musste. Doch irgendwann stünde sie wieder dort oben. Und dann würde sie den Stecker des Telefons herausziehen.
    Sie nahm die Packungen mit den Tabletten, trug sie ins Badezimmer hinauf, schob sie ganz nach hinten in den Schrank. Sie prägte sich ihren Anblick ein, ihren tröstlichen, verheißungsvollen Anblick. Sie waren da . Sie konnte jederzeit auf sie zurückgreifen. Sie musste sich das nur immer wieder klar machen.
    Im Spiegel über dem Waschbecken konnte sie ihr gespenstisch bleiches Gesicht sehen. Wie konnte man im Hochsommer in Südfrankreich so blass sein? Als hätte sie seit wenigstens einem Jahr nicht einen Strahl Sonne mehr abbekommen. Aber eigentlich war es auch so. Wann hatte sie schon das Haus je verlassen? Ganz frühmorgens immer, um ihre Runde im Garten zu drehen, aber da war die Sonne stets gerade erst am Aufgehen gewesen. Manchmal war sie abends auf die Terrasse gegangen. Aber selten. Die langen Abende, halbe Nächte, auf der Terrasse hatte Felix so sehr geliebt. Sie hatten Rotwein getrunken und Sternschnuppen gezählt. Wie sollte sie die laue Luft, den warmen Wind, den Mondschein ertragen ohne ihn?

    Sie bürstete noch einmal über ihre Haare. Nachdem sie nun – leider – Besuch bekommen würde, musste sie zum Einkaufen ins Dorf fahren. Ihre Tiefkühltruhe war zwar noch gefüllt, aber sie hatte nicht vor, etwas zu kochen. Die emotionale Strapaze dieses Morgens war zu groß gewesen, es würde ihr an Kraft fehlen, sich heute Abend an den Herd zu stellen, das spürte sie. Sie kannte einen kleinen Laden, dort konnte man fertige Salate kaufen, und es gab auch besonders guten Käse. Dazu würde sie ein Baguette aufbacken. Das musste reichen. Schließlich hatte sie nicht darum gebeten, besucht zu werden.
     
    Der Laden, in den sie gehen wollte, lag gleich am Hafen von Le Brusc. Heerscharen von Touristen drängelten sich auf der Promenade, hässliche, vom Sonnenöl glänzende halb nackte Männer mit dicken Bäuchen, Frauen in knappen Bikinis, die nicht eine einzige Delle ihrer ausgeprägten Orangenhaut verbargen, plärrende Kinder und missmutige Teenager, die zwar schöne Körper hatten, dafür aber eher dümmliche Gesichter trugen. Aus den zahlreichen Buden entlang der Straße stank es nach heißem Fett. Pommes frites und Würstchen wurden angeboten, gegrillte Hühner, fetttriefende Pizza und weithin nach Räucherspeck riechende Quiches, auf deren Teigboden die Budenbesitzer offenbar alles packten, was sie in der vergangenen Woche nicht losgeworden waren; jedenfalls konnte man beim Anblick der Gebäckstücke diesen

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