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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Seine Lippen waren weiß und fest aufeinander gepresst.
    Er liebt Rebecca, dachte sie, er ist krank vor Sorge um sie. Als wüsste er, was sie gedacht hatte, sagte er: »Ich wollte sie nicht mehr sehen. Ich bin von hier abgereist, weil sie mir deutlich zu verstehen gegeben hat, dass sie mich nicht haben möchte in ihrem Leben. Und ich dachte … ich wollte nicht ihrem Untergang zusehen. Ihrer Selbstzerstörung. Ich wollte nur noch weg und sie mir aus dem Kopf schlagen. Aber dann sah ich das Bild von Marius, und letztlich war ich ja auch noch derjenige, der ihn Rebecca sozusagen vor die Haustür gesetzt hat. Ich hatte auf einmal ein ganz schreckliches Gefühl – und es hat mich ja wohl nicht getrogen.« Er warf einen viel sagenden Blick auf Ingas grün und blau geschlagenes Gesicht.
    »Glauben Sie, er hat seine Pflegeeltern umgebracht?«, fragte Inga. Sie kannte die Antwort.
    »Ja«, antwortete Maximilian knapp. Er bremste und
schaltete die Scheinwerfer seines Wagens ab. Inga sah von ihm jetzt nur noch die Umrisse.
    »Wie sagten Sie eben noch, Inga? Er ist verrückt. Völlig verrückt.« Er öffnete die Wagentür. »Die letzten Meter gehe ich zu Fuß. Die sollen mich nicht kommen hören.«
    »Ich begleite Sie«, sagte Inga und wollte aussteigen. Nicht grob, aber sehr energisch drückte er sie in den Sitz zurück. »Sie sind völlig fertig. Sie können mir im Moment überhaupt nicht helfen. Sie warten hier.«
    »Maximilian, ich …«
    »Es ist besser so, glauben Sie mir. Sagen Sie mir nur noch, wo im Haus sich die beiden befinden.«
    »Rebecca ist oben in ihrem Schlafzimmer. Gefesselt. Marius war zuletzt unten in der Küche. Aber inzwischen … ist er entweder wieder bei ihr, oder er sucht mich.« Sie musste heftig schlucken, weil die Angst sie einen Moment lang zu überwältigen drohte. »Maximilian, wenn er hier plötzlich aufkreuzt …«
    »Ganz ruhig. Wenn ich jetzt draußen bin, betätigen Sie die Zentralverriegelung. So schnell kommt dann keiner hier herein. Und sollte er wirklich auftauchen, dann hupen Sie anhaltend. Ich höre Sie und komme sofort. In Ordnung?«
    Er lächelte sie an, dann verließ er das Auto. Im Mondlicht konnte ihn Inga noch eine Weile sehen, dann war er um die nächste Biegung verschwunden.
    Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie hatte Angst, und es erschien ihr fast unerträglich, warten zu müssen und nicht zu wissen, was geschah.
     
    Es war klar, dass Maximilian recht getan hatte, sie nicht mitzunehmen. Ihre körperliche Schwäche wurde ihr von Minute zu Minute stärker bewusst. Während ihrer Flucht, als ihr nichts anderes übrig geblieben war, als durchzuhalten, hatte
sie auf Reserven zurückgegriffen, von deren Vorhandensein sie nichts gewusst hatte, und jetzt war sie schlaff und schlapp wie ein ausgewrungener Scheuerlappen. Ihr Gesicht schmerzte verstärkt, besonders in den Kieferknochen, ihr verschwollenes Auge brannte, und Nadelstiche schienen durch ihr verletztes Ohr hindurchzuschießen. Sie hatte seit Ewigkeiten nichts gegessen und war schwach vor Hunger. Im Grunde konnte sie sich nicht vorstellen, auch nur einen einzigen Schritt zu tun. Als sie zu Maximilian gesagt hatte, sie wolle ihn begleiten, hatte sie sich völlig überschätzt. Offenbar hatte er hingegen ihre augenblickliche Konstitution richtig beurteilt.
    Jedoch empfand sie es zunehmend als Folter, hier zu sitzen. Wie viel Zeit war eigentlich verstrichen? Zwanzig Minuten? Eine halbe Stunde? Die Uhr im Wagen zeigte auf fast halb zwölf, aber das brachte Inga nicht viel weiter, weil sie versäumt hatte, die Zeit zu kontrollieren, als Maximilian sie verlassen hatte. Es schien ihr eine Ewigkeit her zu sein. Aber vielleicht täuschte sie sich.
    Sie saß in diesem hermetisch verriegelten Auto, spähte immer wieder angstvoll nach draußen, weil sie jeden Moment erwartete, ihren wahnsinnigen Ehemann zwischen den Bäumen auftauchen zu sehen. Und überlegte verzweifelt, welche Szenen sich jetzt wohl in Rebeccas Haus abspielen mochten. Ein richtiger Zweikampf, Mann gegen Mann? Maximilian, der Marius niederschlug, ihm die Faust in den Bauch rammte, wieder und wieder? Er war losgezogen mit der Entschlossenheit eines Mannes, der die Frau, die er liebt, aus den Klauen eines Feuer speienden Drachen befreien will – eine Entschlossenheit, die den Kräften Flügel verlieh.
    Wie verrückt von Rebecca, seine Liebe nicht zu erkennen, dachte Inga, sich hier in Trauer zu vergraben, statt mit Maximilian ein neues Glück zu wagen.

    Sollte

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