Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
richtig gewesen war, Sabrina persönlich aufzusuchen. Für viele Menschen war es viel schwieriger, am Telefon zu sprechen als von Angesicht zu Angesicht. Er würde
mehr erfahren, wenn sie ihm in die Augen schauen konnte.
»Ich wollte ihn um keinen Preis verlieren. Ich dachte damals, ich könnte nicht leben ohne ihn.« Zu Geständnissen dieser Art hätte sie sich am Telefon wahrscheinlich nicht hinreißen lassen. »Also kramte ich in meinem Gedächtnis herum nach Details aus meiner Zeit bei Kinderruf . Details über Rebecca natürlich. Über Projekte, die sie inszeniert hatte, Veranstaltungen. Über ihre Erfolge und ihre Fehlschläge. Es … es war viel mehr, als ich hätte sagen dürfen.« Sie hatte ihn ganz verzweifelt angesehen. »Und ich schäme mich heute so dafür.«
Kronborg fragte sich, welch eine Art Mann dieser Maximilian war. Er musste eine starke Faszination auf Frauen ausüben. Denn Sabrina war keineswegs der klassische Opfertyp, der sich verkauft für ein winziges bisschen Zuneigung und Wärme. Sie war attraktiv und selbstbewusst, wenn auch im Moment vom Gang der Ereignisse eingeschüchtert. Die Einrichtung der Wohnung und auch ihre eigene Aufmachung verrieten, dass sie wohlhabend war. Auf den ersten Blick wäre nie ersichtlich geworden, dass sie sich von einem Mann ausnutzen und hinhalten ließ. Kronborg hatte allerdings schon allzu oft erlebt, dass auf diesem Gebiet der äußere Eindruck häufig trog.
»Ich wollte, dass er zufrieden mit mir ist. Aber er forderte nur mehr und mehr …«
»Haben Sie mit Rebecca Brandt darüber gesprochen?«
»Nein! Nein, mit niemandem. Ich war … ich bin ja noch verheiratet. Keine Menschenseele hat erfahren, dass ich ein … ein Verhältnis hatte.«
Kronborg formulierte seine nächste Frage sehr vorsichtig. »Kam Ihnen jemals der Gedanke, dass … nun, dass Maximilian Kempers Interesse an Rebecca über die normale Faszination
eines mit ihrem Mann gut befreundeten Fast-Familienmitglieds hinausging? Dass es vielleicht gar nicht so sehr ihr Engagement für Kinder war, was ihn derart reizte? Sondern dass es … die Frau Rebecca war?«
Er hatte natürlich ins Schwarze getroffen. Sabrinas Augen verdunkelten sich.
»Mehr als einmal«, sagte sie heftig, »wirklich, mehr als einmal kam mir dieser Gedanke. Wir redeten ja nur noch über sie! Wir redeten überhaupt nicht mehr über uns. Geschweige denn über eine gemeinsame Zukunft oder darüber, wann wir uns endlich öffentlich zu unseren Gefühlen bekennen wollten. Aber wenn ich etwas davon andeutete, er könne … verliebt sein in Rebecca, wurde Maximilian richtig wütend. Ich bekam dann fast Angst vor ihm. Außerdem fing er an zu drohen, er könne mich jeden Moment verlassen. Das war damals für mich eine entsetzliche Vorstellung.«
Er nickte. Er konnte ihr ansehen, was sie mitgemacht hatte. Sabrina Baldini hatte sehr traurige Augen, und sie strahlte eine tiefe Erschöpfung aus, die in Kronborg auf eine unerklärliche Weise die Gewissheit auslöste, dass sie sie nie mehr loswerden würde.
»Wie kamen Sie darauf, ihm von Marius Peters zu erzählen? «, fragte er.
Sie biss die Lippen aufeinander. Sie sah auf einmal sehr verletzlich und jung aus.
»Er … er drängte wieder nach Informationen. Er meinte, wenn jemand so viele Jahre einer gemeinnützigen Tätigkeit nachgeht wie Rebecca, dann müsste es doch auch einmal einen Skandal gegeben haben. Ich sagte natürlich, da sei keiner gewesen, außerdem hätte er den ja wohl selbst mitbekommen – als enger Freund der Familie sowieso, aber auch, weil eine Skandalgeschichte ja sicherlich in der Zeitung gestanden hätte. Er wurde wieder einmal ziemlich aggressiv. In
den Jahren seiner Ehe, ließ er mich wissen, habe er sehr wenig Kontakt mit den Brandts gehabt, denn Rebecca habe seine geschiedene Frau nicht besonders gemocht. Und die Zeitung … nicht jeder Skandal stehe schließlich in der Zeitung. Es gebe ja auch vertuschte Skandale. Veruntreuung von Geldern beispielsweise, was ja sicherlich von einem Verein wie Kinderruf tief unter den Teppich gekehrt würde, um nicht die Anerkennung der Gemeinnützigkeit zu verlieren.« Sie atmete tief. Ihre Augen waren jetzt leicht gerötet. »Aber ich konnte ihm nicht helfen. Rebecca Brandt hatte sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Jedenfalls nicht, dass ich es bemerkt hätte. Aber sowieso kann ich mir das bei ihr nicht vorstellen. Sie ist eine durch und durch integre Person.«
Kronborg nickte langsam. Er ahnte, was
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