Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
kam.
»Maximilian Kemper ließ Sie nicht in Ruhe, nicht wahr?«
Sabrina schüttelte den Kopf. Sie war sehr blass; die Auseinandersetzung mit jener dunklen Phase ihres Lebens fiel ihr schwerer, als sie wahrscheinlich erwartet hatte.
Andererseits, dachte Kronborg, muss sie es irgendwann einmal loswerden. Die Last erdrückt sie ja fast.
»Er war … wie ein Terrier, der sich festgebissen hat. Unnachgiebig. Böse, gehässig und aggressiv, wenn er nicht bekam, was er wollte. Ich begann seine Ausbrüche zu fürchten. Trotzdem konnte ich die Zeit von einem Treffen zum anderen mit ihm kaum aushalten. Er quälte mich. Rief tagelang nicht an. Ließ mich von seiner Sekretärin abwimmeln, wenn ich in seiner Klinik anrief. Zu Hause ging er nicht an den Apparat. Wie oft ich damals weinend auf seinem Anrufbeantworter landete … ich weiß es nicht. Manchmal sah ich ihn zwei Wochen lang nicht und fürchtete, alles sei zu Ende. Von meinem Mann lebte ich längst in tiefer innerer Distanz. Ich war verzweifelt. Krank vor Einsamkeit und Sehnsucht. Dann plötzlich verabredete er sich wieder mit mir. Nahm mich in
die Arme, flüsterte all die zärtlichen Worte, die ich so gut kannte. Und brauchte. Aber unweigerlich …«
»… kam er wieder auf sein Lieblingsthema«, vollendete Kronborg, als Sabrina stockte, »eine Verfehlung in der Vergangenheit Rebecca Brandts.«
»Ja. Und ich wusste ja inzwischen, womit ich zu rechnen hatte, wenn ich nicht funktionierte: mit wochenlangem Liebesentzug. Ich hatte Angst. Wie eine Verrückte begann ich in meinem Gedächtnis zu kramen. Ich wusste, dass es nichts gab, was man Rebecca wirklich hätte anlasten können, aber ich überlegte, ob man nicht irgendetwas hindrehen konnte … Ich weiß, dass ich damit einen Verrat an ihr beging, dass ich bereit war, ihren guten Ruf, ihr Ansehen meiner kranken, verkorksten Beziehung zu Maximilian Kemper zu opfern … aber ich konnte nicht anders. Ich hasste mich, aber …« Sie sprach nicht weiter, hob nur hilflos die Schultern.
Irgendwann war ihr Marius Peters eingefallen. Er war nicht im Mindesten ein dunkler Fleck auf Rebecca Brandts weißer Weste, aber er war in der Geschichte von Kinderruf ein ungutes Vorkommnis , wie es Sabrina nannte.
Ein ungutes Vorkommnis.
Der Begriff, einmal ausgesprochen, schwebte im Zimmer wie ein hässlicher Geruch, der sich nicht verflüchtigen will.
Ein ungutes Vorkommnis.
Sabrina schaute Kronborg an. Ihre Augen waren noch dunkler geworden. Ihre Hände hätten vielleicht gezittert, hätte sie sie nicht ineinander verkrampft in ihren Schoß gedrückt. Die Knöchel an ihren Fingern traten weiß hervor.
Kronborg wusste, dass sie nun an den Kern ihrer Verzweiflung gelangten. An das, was die Ursache für Sabrina Baldinis lebenslange Erschöpfung war. Was vielleicht auch die Ursache für ihre Verstrickung in die Geschichte mit Kemper gewesen war und für das Scheitern ihrer Ehe.
Der Fall Marius Peters.
Er musste sie konfrontieren, ihm blieb nichts anderes übrig. Er konnte ihr ansehen, dass sie ohnehin wusste, dass er es wusste.
»Sabrina«, sagte er vorsichtig, »wenn Ihnen auf das Drängen Kempers hin schließlich Marius Peters als ein ungutes Vorkommnis einfiel, dann heißt das, dass Sie sich nach den Telefonaten mit dem damals kleinen Jungen nicht ganz so entspannt und in der sicheren Gewissheit, alles getan zu haben, zurücklehnten. Dann heißt das, Sie wussten, dass Handeln angebracht gewesen wäre, dass dies aber aus irgendwelchen Gründen Schwierigkeiten gemacht hätte. Dann heißt das, dass auch Sie bewusst weggesehen haben.«
Sie erwiderte nichts, stand abrupt auf, wurde noch bleicher, als sie es ohnehin schon war, und ehe Kronborg reagieren konnte, fiel sie lautlos in sich zusammen und lag gekrümmt in der anrührenden Haltung eines Embryos auf dem Wohnzimmerteppich. Noch bevor Kronborg zu Wiederbelebungsmaßnahmen ansetzte, dachte er, dass diese schöne, müde Frau selbst ohnmächtig nur mit größter Anmut wurde.
5
Er hatte sie geliebt. Er hatte sie wie verrückt geliebt. Wenn sie jetzt behauptete, dies nicht begriffen, nicht bemerkt zu haben, dann log sie. Genau genommen stritt sie nicht völlig ab, etwas von seinen Gefühlen mitbekommen zu haben. Nur deren Intensität, dieses Sie-haben-können-oder-Sterben , das sich in ihm abgespielt hatte, wollte sie nicht realisiert haben. Aber natürlich, ihr ging es darum, ihren Kopf zu retten. Sie passte jetzt genau auf, was sie zugab und was nicht.
Sie waren beide so
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