Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
niemanden wegen ihrer Post um Hilfe bitten. Und es passt auch nicht, dass sie den Termin mit mir verstreichen lassen. Sie hätten mir abgesagt, wenn etwas dazwischengekommen wäre. Man kann über sie denken, was man will, aber mit Sicherheit sind sie im höchsten Maß zuverlässig. «
»Hm«, machte Karen. Sie und der Gärtner starrten das Haus an. Wie feindselig es wirkte, mit seinen hinuntergelassenen
Rollläden, wie still und ausgestorben. Nur ein paar Bienen brummten durch den Garten, Schmetterlinge schaukelten im leichten Wind.
»Mein Hund bellt das Haus immer an«, sagte Karen, »die ganze Woche schon. Das hat er vorher nicht getan.«
»Vielleicht sollten wir in den Garten gehen, was meinen Sie? Am Ende ist irgendwo ein Fenster nicht verdunkelt und wir können hineinschauen.«
Karen merkte, wie ihr kalt wurde. Eine Gänsehaut lief über ihren Rücken. »Was erwarten Sie denn zu sehen?«, fragte sie beklommen.
Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Die beiden sind nicht mehr die Jüngsten. Vielleicht sind sie krank geworden, unglücklich gestürzt …«
»Alle beide?«
»Ich gehe hinein«, sagte der Gärtner und stieß das Tor auf. Karen folgte ihm.
Das Gras im Garten stand recht hoch - verwunderlich zumindest, wenn man wusste, dass Fred Lenowsky es für gewöhnlich stets äußerst kurz geschoren hielt. Der Gewitterregen zwei Tage zuvor hatte die steinerne Vogeltränke mit Wasser gefüllt, aber schon machte sich die anhaltende Trockenheit dennoch überall bemerkbar. Die Geranien, die in Terrakottatöpfen den Gartenweg säumten, ließen die Köpfe hängen. Ein großer Margeritenstrauch neben der Haustür begann zu vertrocknen, die weißen Blüten hatten bräunliche Ränder bekommen. Aus den Ritzen zwischen den Steinplatten auf der Treppe zur Haustür wuchs Löwenzahn; er war noch nicht hoch geworden, wurde aber auch offenbar nicht mehr akribisch entfernt. Man hätte nicht sagen können, dass der Garten verwahrlost war, viele Gärten sahen nie anders aus. Gemessen an der Pedanterie der Lenowskys jedoch stand er im Begriff, seinen überaus gepflegten Zustand einzubüßen.
Die Haustür bestand aus einem hölzernen Rahmen, in dessen Mitte dicke, dunkelgrün gefärbte Glasquadrate zu seltsamen geometrischen Formen angeordnet waren; man konnte jedoch nicht hindurchsehen. Links von der Tür führte ein Plattenweg um das Haus herum. An den Fenstern entlang des Weges waren überall die Rollläden hinuntergelassen.
»Es kann natürlich sein«, sagte Karen, »dass die Lenowskys wirklich verreist sind und tatsächlich jemanden beauftragt haben, sich um Haus und Garten zu kümmern. Diese Person ist vielleicht krank oder vergesslich oder einfach durch irgendetwas verhindert …«
»Möglich«, meinte der Gärtner, klang dabei jedoch nicht überzeugt, »man müsste vielleicht einmal in der Nachbarschaft herumfragen.«
Sie hatten das Haus umrundet und langten auf der Terrasse an. Hier standen ein runder, weißer Gartentisch und vier Gartenstühle; auf den Stühlen lagen, sorgfältig festgebunden, blauweiße Sitzkissen. Eine geblümte Tischdecke hatte der Wind in die Ecke neben der Verandatür geweht, sie hatte sich dort um den steinernen Fuß eines leeren Schirmständers geknäult.
»Die fahren doch nicht in Urlaub und lassen ihre Stuhlkissen draußen!«, rief der Gärtner. »Ich finde, hier stimmt etwas überhaupt nicht!«
Fenster und Tür zur Terrasse waren verdunkelt. Über die ganze Breite der Terrasse erstreckte sich im ersten Stock ein Balkon. Der Gärtner lief bis zum Ende des Rasens, um hinaufzuspähen. »Ich kann da oben nicht viel sehen, aber ich meine, dort wäre ein Fenster ohne Rollladen. Man könnte auf den Balkon klettern …«
»Es ist doch gar nicht erlaubt, was wir hier tun«, meinte Karen unbehaglich, »immerhin ist das ein fremdes Grundstück …«
Der Gärtner schnaubte verächtlich. »Das sollte uns jetzt nicht unbedingt kümmern. Ich meine, dass hier etwas oberfaul ist. Eigentlich sollte man …« Er sprach den Satz nicht zu Ende.
»Was?«, fragte Karen. Irgendwie war sie immer noch nicht ganz da. Vor ihrem inneren Auge sah sie Wolf neben der jungen langhaarigen Frau die Straße entlangkommen.
»Eigentlich sollte man die Polizei verständigen.«
Sie erschrak, weil sie sich vorstellen konnte, wie Wolf auf diesen Vorschlag reagieren würde. »Ich weiß nicht … nachher ist gar nichts, und wir machen uns nur völlig lächerlich.«
»Hm«, machte er. Vermutlich hielt er sie für
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