Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Frau. Sicher wesentlich lieber als mit seiner eigenen.
Die Betäubung wich. Karen wurde es plötzlich fast schlecht bei der Vorstellung, sie wäre vielleicht früher beim Einkaufen fertig gewesen und hätte außerdem mehr Sekt getrunken und tatsächlich den Mut gehabt, allein in das Restaurant zu gehen. Dann hätte sie jetzt dort drinnen gesessen, und Wolf wäre wahrscheinlich erstarrt bei ihrem Anblick, und dann hätte er sie und seine Begleiterin einander vorstellen müssen und sie hätten alle an einem Tisch gesessen, und … Sie fand die Bilder, die sie vor sich sah, so peinlich und schrecklich, dass sie nicht länger stehen bleiben konnte; sie drehte sich um und lief wie gehetzt all die Straßen entlang zu ihrem Auto zurück. Sie keuchte, als sie es erreichte, kramte mit zitternden Händen ihren Schlüssel hervor, öffnete, stieg ein und sank in ihrem Sitz zurück. Ein kurzer Blick in den Rückspiegel zeigte ihr, dass sie wieder einmal furchtbar aussah, das blasse Gesicht gerötet von der Hitze und der Aufregung, die Haare wirr, der Lippenstift verblichen. Großartig. Kein Wunder, dass Wolf nicht mehr mit ihr ausging. Dass er keinen Wert auf ihre Gegenwart legte. Er wusste auch, dass die Kinder heute beim Sportfest waren, er hätte sie fragen können, ob sie zum Essen in die Stadt kommen wollte. Aber so blöd war er natürlich nicht. Er hatte ein besseres
Angebot gehabt. Und Wolf war schon immer der Meinung gewesen, dass ihm das Beste zustand.
Ich glaube nicht, dass er mit ihr ins Bett geht, dachte Karen, was also macht mich so fertig? Dass er mich ausgrenzt aus seinem Leben? Längst ausgegrenzt hat? Dass ich gar nicht mehr vorkomme, dass ich nur noch die Frau bin, die sein Haus in Ordnung hält und seine Kinder großzieht? Das tut weh. Das tut entsetzlich weh.
Sie war froh, als sie heil daheim ankam. Sie war einige Male angehupt worden, weil sie an grünen Ampeln nicht losgefahren war, tief in Gedanken versunken, und einmal hatte sie einem offenen Sportwagen die Vorfahrt genommen, und der Typ, der eine sehr attraktive Blondine neben sich hatte, hatte wie wild hinter ihr hergeschimpft.
Egal, hatte sie gedacht, alles egal, aber in Wahrheit war ihr gar nichts egal.
Als sie aus der Garage trat, nahm sie einen Mann wahr, der vor dem Gartentor ihrer Nachbarn stand und gerade die Klingel drückte, wahrscheinlich schon zum wiederholten Mal, denn er schaute dabei ratlos die Straße auf und ab. Er sah Karen und kam sofort auf sie zu.
»Verzeihen Sie, wissen Sie, ob die Familie Lenowsky verreist ist?«, fragte er. »Ich hatte für heute einen Termin …«
Sie starrte ihn an, versuchte aus ihren Gedanken aufzutauchen und sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. »Einen Termin?« Ihre Stimme hörte sich brüchig an, sie räusperte sich. »Einen Termin?«, wiederholte sie und dachte, dass der Fremde sie ziemlich stupide finden musste.
»Ich bin Gärtner. Ich soll mich von jetzt an regelmäßig um das Grundstück der Lenowskys kümmern. Der heutige Termin wurde vor zwei Wochen vereinbart, und man legte mir nahe, ihn unbedingt pünktlich einzuhalten.«
»Und die Lenowskys wollten da sein, wenn Sie arbeiten?
Denn Sie könnten eigentlich auch so in den Garten gehen und …«
»Auf keinen Fall«, sagte er mit Bestimmtheit. »Herr Lenowsky hat sehr genaue Vorstellungen, wie alles angelegt werden soll. Wir haben es zwar besprochen, aber er sagte ausdrücklich, er wolle wegen eventueller Änderungen in seinen Wünschen unbedingt anwesend sein.«
»Ich verstehe«, sagte Karen. Langsam konnte sie wieder einigermaßen normal sprechen. »Wissen Sie, ich wundere mich auch schon seit einiger Zeit. Die Rollläden sind unten und niemand öffnet, aber gleichzeitig quillt der Briefkasten über … ich nehme regelmäßig an mich, was herausschaut, sonst würde die Post hier schon auf dem Gartenweg liegen. Aber niemand hat mich darum gebeten, wissen Sie, es scheint aber auch sonst niemand beauftragt zu sein, und das erscheint mir seltsam.«
»Das ist es in der Tat«, sagte der Gärtner, »äußerst seltsam. «
»Wir wohnen noch nicht lange hier«, fuhr Karen fort. Es tat gut, mit jemandem zu sprechen. »Ich kenne daher die Nachbarn nicht näher, aber sie schienen mir … nun, es sind keine Leute, die einfach wegfahren und Haus und Garten sich selbst überlassen. Sie wirkten auf mich so, als regelten sie alles in ihrem Leben mit größter Sorgfalt.«
»So kamen sie mir auch vor. Es scheint mir nicht zu ihnen zu passen, dass sie
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