Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
herrschte letztes, dämmriges Tageslicht, der Garten war ein weißes Meer aus blühenden Kirschbäumen, und dazwischen tanzten, ganz der launischen Jahreszeit entsprechend, plötzlich Schneeflocken vom Himmel. Felix hatte noch einmal Feuer im Kamin gemacht. Sie erinnerte sich, dass er gesagt hatte: »Das tu ich sicher zum letzten Mal bis zum Winter! «
Er hatte es zum letzten Mal in seinem Leben getan.
»Wer ist verliebt in mich?«, hatte Rebecca gefragt, und Felix sagte: »Maximilian. Ich erkenne es an der Art, wie er dich anschaut.«
Sie war völlig perplex gewesen, und als sie sich von ihrer
ersten Verblüffung erholt hatte, war sie in die nächste Verwunderung darüber gefallen, dass Felix diese Feststellung so ruhig und ohne sichtbare Gefühlsregung getroffen hatte.
»Ich glaube, du irrst dich«, sagte sie.
Er lächelte. »Ich kenne ihn schon ganz schön lange. Seit unserem ersten Schuljahr. Es gibt nicht viel, was er vor mir verbergen könnte. Und seit seiner Scheidung sind seine Gefühle stärker geworden.«
Um ihre Verwirrung zu verbergen, hatte sie hastig von ihrem Wein getrunken. »Es scheint dich nicht besonders zu stören«, hatte sie dann gesagt.
Er hatte überlegt. »Nein. Seltsamerweise wirklich nicht. Vielleicht, weil wir so gute Freunde sind. Ich weiß absolut sicher, dass er es sich niemals erlauben wird, seinen Gefühlen nachzugeben. Das ist für ihn ausgeschlossen. Er wird dich einfach verehren und anbeten, aber als Frau bleibst du für ihn tabu.«
»Aber wir hatten doch gehofft, dass er eine neue Liebe findet. Das ist schwierig, wenn er blockiert ist.«
Felix hatte mit den Schultern gezuckt. »Wir können es nicht ändern. Aber irgendwo ist Maximilian auch ein sehr realistischer, bodenständiger Mensch. Er wird wissen, wann es Zeit ist, sich von einem unerfüllbaren Traum zu verabschieden und dem wirklichen Leben wieder eine Chance einzuräumen. «
Wenn sie es sich richtig überlegte, war sie spätestens von jenem Abend an Maximilian gegenüber ein wenig befangen gewesen. Mit geschärftem Blick hatte sie nun selber erkannt, dass er förmlich an ihren Lippen klebte, wenn sie sprach, dass er jede ihrer Bewegungen sehr genau verfolgte, dass er häufig ihre Nähe suchte. Darüber hinaus verriet er sich jedoch mit keinem Wort, mit keiner Geste. Sein Verhalten flößte ihr Achtung ein, verunsicherte sie aber auch. Die letzten
sechs Monate bis zu Felix’ Tod waren nicht mehr ganz so gewesen wie all die Zeit vorher.
Es hatte sie tief entrüstet, dass er nun hier aufgetaucht war, und sie glaubte ihm beim besten Willen nicht, dass dies nur aus uneigennütziger Fürsorge ihr gegenüber geschehen war. Wie konnte er Felix ein Dreivierteljahr nach dessen Tod so verraten? Maximilian hatte an Felix’ Grab geweint, und doch hatte er sich nicht allzu lange danach offenbar überlegt, dass man aus jeder Situation das Beste machen sollte. Und genau das wollte sie ihm nicht gestatten. Niemand, niemand, niemand sollte in auch nur der geringsten Weise vom Tod ihres Mannes profitieren.
Wenn sie jedoch ehrlich zu sich war, dann wusste sie, dass sie in jedem Fall abweisend und aggressiv auf Maximilian reagiert hätte. Jeder Mensch aus ihrem früheren Leben, der hier unvermutet aufgetaucht wäre, hätte Risse und Löcher in ihren Selbstschutz getrieben, und niemandem hätte sie das verziehen. Drei Tage zuvor war sie bereit gewesen, Felix in den Tod zu folgen. Nun stand sie da, und etwas hatte sich verändert. Sie wusste nicht genau, was es war, aber es musste von großer Kraft sein, denn sie konnte nicht nach oben gehen, die Tabletten aus dem Schrank nehmen, sie schlucken und sich dem Ende hingeben. Es ging nicht, sosehr ihr Kopf das wollte.
Das Leben, dachte sie plötzlich fast ernüchtert, das Leben ist wieder zu mir vorgedrungen. Es hat sich zwischen mich und den Tod geschoben. Es wird mich verdammt viel Kraft kosten, es wieder loszuwerden.
Es hatte ihr in der letzten Zeit gut getan – zumindest meinte sie dies so zu empfinden –, sich völlig von der Welt und all ihren Bewohnern zurückzuziehen und sich einzig auf den Schritt vorzubereiten, den sie als richtig und zwingend für sich sah, und sie war entschlossen, diesen Zustand wieder
herbeizuführen. Aber sie begriff an diesem Nachmittag, dass dies nicht einfach sein und einige Zeit dauern würde. Es gab Menschen, die behaupteten, eine einmal veränderte Situation sei nie wieder genau so herzustellen, wie sie gewesen war, aber Rebecca hatte nicht vor,
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