Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
verhinderten. Sie hielt es für möglich, dass dies in ihrem Fall passieren konnte.
Schon am Anfang des Bootsstegs konnte sie sehen, dass Libelles Platz leer war. Die übrigen Schiffe schaukelten wild hin und her, da und dort waren Bootseigentümer damit beschäftigt, noch einmal neu zu vertäuen oder die Haltbarkeit der Festmacher zu überprüfen. Rebecca sah auf ihre Uhr. Es war nach fünf. Entweder hatten Marius und Inga die Vereinbarung vergessen, oder sie hatten getrödelt und kämpften nun mit den Schwierigkeiten, gegen den Sturm und bei extremem Wellengang in den Hafen zurückzufinden. Vielleicht war Marius gar nicht der Segelprofi, als der er sich gegenüber Maximilian ausgegeben hatte.
Ich hätte mich nicht auf diese Geschichte einlassen sollen, dachte sie verärgert, es ist wirklich so, dass Maximilian in jeder Hinsicht nur Probleme verursacht hat.
»Madame! Madame, gut, dass Sie da sind!« Von ihr unbemerkt, war Albert aufgetaucht. Sein braun gebranntes, wettergegerbtes Gesicht sah höchst sorgenvoll aus. »Sie sind immer noch nicht zurück. Die jungen Leute, meine ich. Ich habe ihnen mehrmals vier Uhr als äußerste Grenze genannt, aber …« Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe meine Zweifel, dass sie es bei dem Seegang in den Hafen schaffen!«
»Der junge Mann soll ein erfahrener Segler sein.«
»Möglich. Aber sie sind nicht da.«
Rebecca kämpfte mit ihren wild fliegenden Haaren, die ihr immer wieder ins Gesicht schlugen. »Sie sind jung. Junge Leute halten sich oft nicht an die Ratschläge der Älteren!«
»Das Schiff gehört ihnen nicht! Es wäre ein unmögliches Benehmen, diese Vereinbarung absichtlich nicht einzuhalten. «
Sie seufzte. Sie wollte hier nicht stehen. Nicht mit Albert sprechen. Nicht verantwortlich sein. Sie sehnte sich nach der Ruhe und Einsamkeit ihres Hauses.
»Ich hoffe nur, dass nichts passiert ist«, sagte sie.
Albert starrte über das Meer. Weit und breit war kein Schiff zu sehen. Niemand ging nach draußen bei dem Wetter.
»Wie lange kennen Sie die beiden?«, fragte er.
Sie zögerte. Gleich würde er denken, dass sie unglaublich naiv und leichtfertig war. Andererseits konnte es ihr egal sein, was er dachte. »Ich kenne sie überhaupt nicht. Maximilian hat sie angeschleppt. Es sind Tramper. Er hat sie aufgelesen und mitgenommen.«
Albert sah sie ungläubig an. »Und solchen Leuten leihen Sie Ihr Schiff?«
»Maximilian hat dafür plädiert. Und wie Halunken sehen die beiden wirklich nicht aus. Außerdem scheint dieser Marius wirklich ein sehr guter Segler zu sein.«
»Ahnung von Schiffen hat er«, gab Albert widerwillig zu. »Aber trotzdem könnte es schließlich sein, dass…« Er sprach nicht weiter.
»Was?«, fragte Rebecca.
»Die Libelle ist einiges wert. Was, wenn die beiden nie vorhatten, zurückzukommen?«
Rebecca hob fröstelnd die Schultern. Was sollte sie darauf sagen? Ein Verbrecherpärchen, das mit Felix’ geliebtem Segelboot abhaute.
Auch das noch, dachte sie müde, das hat Maximilian wirklich gut hinbekommen.
Albert schien zu bemerken, dass sie deprimiert und erschöpft war, denn er meinte einlenkend: »Aber man sollte vielleicht nicht gleich den Teufel an die Wand malen, nicht wahr? Die beiden sind jung, und sie wirkten recht verliebt. Sie haben irgendwo geankert und die Welt ringsum vergessen. Wie ist es, mögen Sie bei mir im Büro einen Tee trinken? Dann können Sie hier warten und müssen nicht sofort den ganzen Weg zurückfahren.«
Das klang vernünftig, aber natürlich konnte Albert nicht ahnen, was er ihr zumutete. Stundenlang mit einem Menschen zusammensitzen und Tee trinken … Das gehörte zu den Dingen, die sie abgeschafft hatte, aus gutem Grund, und sie hatte keineswegs vorgehabt, sich auf derlei Geschichten je wieder einzulassen. Es war wirklich erstaunlich, welch einen Rattenschwanz an Veränderungen Maximilians Auftauchen nach sich zog. Er war wieder abgereist, und sie schien aus den Verkettungen, die sein Besuch bewirkt hatte, nicht mehr herauszukommen.
»Na schön«, sagte sie, »es wird mir kaum etwas anderes
übrig bleiben.« Sie sah Albert an, dass er gekränkt war, und setzte hinzu: »Ich meine natürlich, das ist ein nettes Angebot, Albert. Ich bin nur … etwas nervös.«
Das verstand er natürlich. Ein Schiff wie die Libelle , und dann verschwand es mit einem dubiosen Pärchen … Er selbst wäre in Rebeccas Lage einem Infarkt nahe. Aber er hätte eben sein Schiff auch nicht hergegeben. Ein Schiff verlieh man
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