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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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nicht, so wenig wie die eigene Ehefrau.
    Aber dieses Verständnis fand man nur bei Männern.
    6
    Sie wachte auf und hatte im ersten Moment nicht die geringste Ahnung, wo sie sich befand. Der Gedanke, der ihr sofort durch den Kopf schoss, war: Ich liege im Bett, und es ist Montagfrüh. Sie hatte einen schlechten Geschmack im Mund, und sie fand immer, dass es die Montagmorgen waren, die diesen Geschmack hervorriefen. Jedenfalls bei ihr. Nicht, weil am Montag die Arbeit wieder losging. Sondern weil die Woche lang und groß und dadurch in ihrer Vorstellung bedrohlich vor ihr lag.
    Jedoch begriff sie ganz schnell, dass sie sich nicht in ihrem Bett befand. Ihr Bett schaukelte nicht wie wild, und es war auch nicht so hart. Sie setzte sich mühsam auf. Ihre rechte Schulter tat so weh, dass sie vor Schmerzen stöhnte, und unwillkürlich traten ihr die Tränen in die Augen. Auch mit ihrem Kopf war etwas nicht in Ordnung, auch in ihm hämmerten Schmerzen, und über ihrem rechten Ohr fühlte sie etwas Klebriges. Vorsichtig tastete sie mit der Hand in ihren Haaren und betrachtete dann ungläubig ihre blutverschmierten Finger. Die Erinnerung an ihren Sturz in die Kajüte tauchte
unvermittelt in ihrem umnebelten Gehirn auf. Sie war schwer aufgeschlagen und hatte sich dabei offenbar erheblich am Kopf verletzt. Danach war alles in Dunkelheit untergegangen.
    Ich war bewusstlos. Wer weiß, wie lange?
    Während sie über diese Frage nachgrübelte, kam ihr die Idee, auf ihre Armbanduhr zu schauen. Es war fast halb sechs. Das bedeutete, dass sie mehr als zwei Stunden hier gelegen hatte. Das bedeutete … Entsetzt rappelte sie sich, ungeachtet der dröhnenden Schmerzen in ihrem Kopf und in ihrem Arm, auf die Füße. Auf einmal wusste sie wieder, was geschehen war, erinnerte sich an Marius’ seltsames Verhalten, an die bestürzende Veränderung, die plötzlich mit ihm vorgegangen war, an sein Vorhaben, mit dem Schiff durchzubrennen und es in irgendeinem Mittelmeerhafen zu verkaufen. Das Ganze war so absurd, so verrückt, dass es ihr wie ein böser Traum erschien, und doch arbeitete ihr Verstand nun wieder klar genug, dass sie genau wusste: Es war kein Albtraum, der ihr unwirkliche Schreckensbilder vorgaukelte. Das alles war wirklich geschehen und hatte innerhalb kürzester Zeit ihr Leben verändert.
    Das Schiff schaukelte so wild, dass sie sich wunderte, weshalb ihr nicht schlecht wurde. Mehrfach stieß sie schmerzhaft gegen die Wände der Kajüte, denn bei dem Seegang war es kaum möglich, das Gleichgewicht zu halten. Als es ihr endlich gelang, die Treppe nach oben zu erklimmen und den Kopf aus der Kajüte zu strecken, stellte sie fest, dass das Schiff leer war.
    Niemand saß am Ruder. Das Großsegel schlug unkontrolliert hin und her. Ganz vorsichtig schob sie sich noch weiter nach oben, immer auf der Hut vor dem Segel, und ließ ihren Blick auch die Vorderseite des Schiffes absuchen. Auch hier war niemand. Und um sie herum Wellen und Sturm und in bedrohlicher Weite die Felswände am Ufer.

    Marius hatte das Schiff verlassen.
    Da dies angesichts des Unwetters praktisch unmöglich war, kroch sie wieder nach unten und sah sich in der Kabine um, die jedoch so klein und überschaubar war, dass es kaum jemandem gelingen konnte, sich dort zu verstecken. Eine offene Koje, in der zwei Menschen Platz hatten, davor ein Holztisch, rechts und links davon Holzbänke. Darüber in die Wand eingelassene Regale, in denen Schiffskarten, Sonnenbrillen, eine Baseballkappe und eine Flasche Sonnenöl hin und her rutschten. Und das Handy von Marius. Das Inga aber nichts nutzte, weil sie keine einzige Nummer weit und breit kannte, die sie um Hilfe hätte anwählen können. Auch nicht die des Seenotrettungsdienstes, oder was immer es in dieser Art geben mochte.
    Nirgends eine Spur von Marius.
    Die Libelle hatte gerade wieder den Kamm einer bedrohlich steilen und kurzen Welle überwunden und krachte mit dem Bug in das darauf folgende Tal, so dass Inga das Gleichgewicht verlor. Sie konnte sich gerade noch mit den Armen am Tisch festhalten, sonst wäre sie quer durch den kleinen Raum geschleudert worden. Sie landete hart auf den Knien.
    Er war abgehauen. Sie wusste nicht, wie ihm das gelungen war, noch weniger, weshalb er das getan hatte, aber er war weg und hatte sie bei Sturm und hohem Wellengang ganz allein auf einem Segelboot zurückgelassen, sie, die nie einen Segelkurs besucht hatte, die ihre Kenntnisse und praktischen Erfahrungen nur daher hatte, dass sie auf

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