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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Zugehörigkeit zu einem anderen nicht verlieren. Nicht das Gefühl von Geborgenheit, selbst wenn es aufgesetzt ist. Es ist so schön, wenn daheim jemand auf einen wartet, nicht?«
    Rebecca sah sie nicht an. »Ich weiß«, sagte sie leise.
    »Ich habe immer gewusst, dass mit Marius irgendetwas nicht stimmt«, fuhr Inga fort, »es war nicht greifbar, nicht formulierbar. Das ist es ja immer noch nicht. Ich stehe immer noch vor einem Rätsel, was mit ihm los ist. Aber ich weiß jetzt, dass das immer so war. Buchstäblich von unserer ersten Minute an. Ich habe Ihnen diese Episode ja erzählt. Und auch, dass sie sich – zur einen oder anderen Variante abgewandelt – als roter Faden durch unsere Zeit zog. Ich war immer nervös, wenn wir unter Menschen waren. Immer angespannt. Das falsche Wort von irgendjemandem im falschen Moment konnte die nächste Katastrophe auslösen. Marius, der nette, fröhliche, unkomplizierte Marius, war in Wahrheit
ein Pulverfass, das jeden Moment explodieren konnte. Es ist ziemlich unerträglich, mit einem Pulverfass zu leben.«
    »Und Sie wissen wirklich praktisch gar nichts über ihn von früher? Aus der Zeit, bevor Sie einander kennen lernten? Seine Familie, sein Umfeld … woher er kommt?«
    Inga schüttelte den Kopf. »Ich weiß im Grunde fast nichts. Er hat Fragen abgeblockt. Ich kenne niemanden aus seiner Familie. Natürlich wollte ich gern seine Eltern kennen lernen, aber nachdem er anfangs immer wieder ziemlich durchsichtige Ausflüchte gefunden hatte, weshalb es schon wieder nicht zu einer Begegnung kommen konnte, sagte er irgendwann klipp und klar, dass das Verhältnis zu seinen Eltern nicht das beste sei. Einmal wurde er ziemlich drastisch: Sein Vater sei ein autoritärer Scheißer, sagte er. Ich wollte ihn nicht drängen, mich dennoch seinen Eltern vorzustellen. Im Übrigen fand ich den Umstand, dass er offenbar praktisch keinen Kontakt zu ihnen hatte, nicht so seltsam. An der Uni laufen viele herum, die die große Freiheit genießen, ihre Familie als spießig und engstirnig empfinden und sich ziemlich radikal abnabeln. Später nähert man sich dann wieder an … und ich glaube, etwas in der Art habe ich auch bei Marius erwartet. Ich dachte, er braucht jetzt erst einmal den totalen Freiraum, und irgendwann sieht man einander dann wieder mit anderen Augen.«
    »Haben Sie ihn Ihrer Familie vorgestellt?«, fragte Rebecca.
    Inga nickte. »Ich habe ihn an unserem ersten gemeinsamen Weihnachten mit zu uns nach Hause genommen. Wir waren noch nicht verheiratet, lebten auch noch nicht zusammen. Er hatte irgendeinen Adventssonntag bei seinen Eltern verbracht. Danach war er am Telefon richtig mürrisch und patzig und erklärte, er werde keinesfalls den Heiligabend mit ihnen verbringen. Ich wollte nicht, dass er allein ist, und lud ihn ein, mich zu begleiten. Ich komme aus einem Dorf in Norddeutschland, wir sind eine große Familie, und vom dreiundzwanzigsten
Dezember bis zum ersten Januar treffen wir uns alle bei meinen Eltern. Es ist wirklich immer wunderschön und familiär, und ich wollte gern, dass Marius das erlebt. Aber …«
    »Es funktionierte nicht?«
    »Doch. Jedenfalls gab es keinen Eklat oder so. Aber ich war fürchterlich nervös …« Inga sah zu Rebecca hin. »Seltsam, nicht? Das hatte ich alles verdrängt. Ich hatte in jener Woche ständig Kopfschmerzen. Einmal fast migräneartig … mein Vater fuhr nachts in die Notapotheke, um mir ein Schmerzmittel zu holen. Niemand konnte sich das erklären, weil ich nie vorher zu Kopfweh geneigt hatte. Ich spürte, dass es mit Marius zusammenhing. Wir waren jeden Tag vierzehn Personen, die um einen Tisch saßen, es ging lustig zu, und ich lebte in größter Angst, jemand könnte eine falsche Bemerkung machen. Oder genauer: eine ganz normale Bemerkung, die aber wieder bei Marius einen kritischen Nerv treffen könnte. Es war, als hielte ich eine Woche lang den Atem an.«
    »Kein Wunder, dass Sie Kopfweh bekamen«, sagte Rebecca.
    »Ja, nicht wahr? Aber ich wollte die Zusammenhänge einfach nicht wahrhaben. Kurz bevor wir abreisten …« Sie stockte. Rebecca sah sie fragend an.
    Inga atmete tief. »Kurz bevor wir abreisten, fragte ich meine Mutter, was sie von ihm hielte. Es war der Silvestertag, Marius begleitete meinen Vater und meine Brüder am Spätnachmittag in die Dorfkneipe. Eine Tradition für alle Männer dort am einunddreißigsten Dezember … Ich fühlte mich total elend. Marius allein mit mindestens vierzig fremden Männern,

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