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Der Fremde (German Edition)

Der Fremde (German Edition)

Titel: Der Fremde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Abstand hatten, sind sie sehr schnell davongelaufen, während wir wie angewurzelt in der Sonne stehen blieben und Raymond seinen bluttriefenden Arm festhielt.
    Masson hat gleich gesagt, es gäbe einen Doktor, der seine Sonntage auf dem Plateau verbrächte. Raymond wollte gleich hingehen. Aber jedes Mal, wenn er sprach, bildete das Blut aus der Wunde Blasen in seinem Mund. Wir haben ihn gestützt und sind so schnell wie möglich zur Hütte zurückgekehrt. Dort hat Raymond gesagt, seine Verletzungen wären oberflächlich, und er könnte zum Doktor gehen. Er hat sich mit Masson auf den Weg gemacht, und ich bin dageblieben, um den Frauen zu erklären, was passiert war. Madame Masson weinte, und Marie war sehr blass. Mir war das langweilig, es ihnen zu erklären. Ich habe schließlich geschwiegen und habe rauchend aufs Meer geschaut.
    Gegen halb zwei ist Raymond mit Masson zurückgekommen. Er hatte den Arm verbunden und ein Pflaster auf dem Mundwinkel. Der Doktor hatte ihm gesagt, es wäre nicht schlimm, aber Raymond sah sehr düster aus. Masson hat versucht, ihn zum Lachen zu bringen. Aber er redete immer noch nicht. Als er gesagt hat, er ginge an den Strand hinunter, habe ich ihn gefragt, wohin er denn wollte. Er hat geantwortet, er wollte an die frische Luft. Masson und ich haben gesagt, wir würden ihn begleiten. Da ist er wütend geworden und hat uns beschimpft. Masson hat erklärt, man dürfte ihn nicht reizen. Ich bin ihm trotzdem gefolgt.
    Wir sind lange am Strand entlanggegangen. Die Sonne war jetzt drückend. Sie zerbrach auf dem Sand und auf dem Meer in Splitter. Ich hatte den Eindruck, dass Raymond wusste, wohin er ging, aber das war wohl falsch. Ganz am Ende des Strandes sind wir schließlich zu einer kleinen Quelle hinter einem großen Felsen gekommen, die durch den Sand floss. Dort sind wir auf unsere beiden Araber gestoßen. Sie lagen in ihrem öligen Blaumann da. Sie wirkten vollkommen ruhig und fast zufrieden. Unser Kommen hat nichts geändert. Der, der auf Raymond eingestochen hatte, sah ihn an, ohne etwas zu sagen. Der andere blies auf einer kleinen Flöte und wiederholte, während er uns aus dem Augenwinkel ansah, unentwegt die drei Töne, die er aus seinem Instrument herausholen konnte.
    Während dieser ganzen Zeit war da nichts als die Sonne und diese Stille mit dem leisen Murmeln der Quelle und den drei Tönen. Dann hat Raymond die Hand an seine hintere Hosentasche geführt, aber der andere hat sich nicht gerührt, und sie sahen sich immer noch an. Ich habe bemerkt, dass der, der Flöte spielte, sehr weit auseinanderstehende Zehen hatte. Aber ohne seinen Gegner aus den Augen zu lassen, hat Raymond mich gefragt: «Soll ich ihn abknallen?» Ich habe gedacht, dass er, wenn ich nein sagte, von ganz allein in Rage geraten und bestimmt schießen würde. Ich habe bloß gesagt: «Er hat noch nichts zu dir gesagt. Das würde gemein aussehen, einfach so zu schießen.» Man hat wieder das leise Geräusch des Wassers und der Flöte im Herzen der Stille und der Hitze gehört. Dann hat Raymond gesagt: «Also, ich beschimpfe ihn, und wenn er antwortet, knalle ich ihn ab.» Ich habe geantwortet: «Genau. Aber wenn er sein Messer nicht zieht, kannst du nicht schießen.» Raymond geriet allmählich etwas in Rage. Der andere spielte immer noch, und beide beobachteten jede Geste von Raymond. «Nein», habe ich zu Raymond gesagt. «Schlag dich mit ihm von Mann zu Mann und gib mir deinen Revolver. Wenn der andere eingreift oder wenn er sein Messer zieht, knalle ich ihn ab.»
    Als Raymond mir seinen Revolver gegeben hat, ist die Sonne darüber hinweggehuscht. Doch wir haben uns immer noch nicht gerührt, als hätte sich alles um uns herum geschlossen. Wir sahen uns an, ohne den Blick zu senken, und alles kam hier zwischen dem Meer, dem Sand und der Sonne, der zweifachen Stille der Flöte und des Wassers zum Stillstand. Ich habe in dem Moment gedacht, man könnte schießen oder nicht schießen. Aber plötzlich haben sich die Araber rückwärts hinter den Felsen verzogen. Raymond und ich sind darauf wieder umgekehrt. Er sah besser aus, und er hat von dem Bus für die Rückfahrt gesprochen.
    Ich habe ihn bis zur Hütte begleitet, und während er die Holztreppe hinaufstieg, bin ich an der untersten Stufe stehen geblieben, mit vor Sonne dröhnendem Kopf, abgeschreckt von der Anstrengung, die nötig war, um auf die Holzplattform zu steigen und wieder mit den Frauen zu sprechen. Aber die Hitze war so groß, dass es auch

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