Der Fremde (German Edition)
Mein ganzes Sein hat sich angespannt, und ich habe die Hand um den Revolver geklammert. Der Abzug hat nachgegeben, ich habe die glatte Einbuchtung des Griffes berührt, und da, in dem zugleich harten und betäubenden Knall, hat alles angefangen. Ich habe den Schweiß und die Sonne abgeschüttelt. Mir wurde klar, dass ich das Gleichgewicht des Tages zerstört hatte, die außergewöhnliche Stille eines Strandes, an dem ich glücklich gewesen war. Da habe ich noch viermal auf einen leblosen Körper geschossen, in den die Kugeln eindrangen, ohne dass man es ihm ansah. Und es war wie vier kurze Schläge, mit denen ich an das Tor des Unglücks hämmerte.
Zweiter Teil
I
Gleich nach meiner Verhaftung bin ich mehrmals verhört worden. Aber es handelte sich um Vernehmungen zur Person, die nicht lange gedauert haben. Beim ersten Mal auf dem Polizeirevier schien meine Sache niemand zu interessieren. Acht Tage später hat der Untersuchungsrichter mich dagegen neugierig angesehen. Aber zunächst einmal hat er mich nur nach meinem Namen und meiner Anschrift, meinem Beruf, dem Geburtsdatum und -ort gefragt. Dann wollte er wissen, ob ich mir einen Anwalt ausgesucht hätte. Ich habe zugegeben, dass ich es nicht getan hätte, und habe ihn ausgefragt, ob es unbedingt nötig wäre, einen zu haben. «Warum?», hat er gesagt. Ich habe geantwortet, ich fände meine Sache sehr einfach. Er hat lächelnd gesagt: «Das ist auch eine Ansicht. Doch dafür ist das Gesetz da. Wenn Sie sich keinen Anwalt aussuchen, werden wir einen Pflichtverteidiger bestellen.» Ich fand, dass es sehr bequem war, dass die Justiz sich um diese Einzelheiten kümmerte. Ich habe es ihm gesagt. Er hat mir zugestimmt und hat den Schluss gezogen, dass das Gesetz gut wäre.
Anfangs habe ich ihn nicht ernst genommen. Er hat mich in einem Zimmer mit geschlossenen Vorhängen empfangen, er hatte auf seinem Schreibtisch eine einzige Lampe, die den Sessel beleuchtete, in dem er mich Platz nehmen ließ, während er selbst im Dunkeln blieb. Ich hatte eine ähnliche Beschreibung schon in Büchern gelesen, und das alles ist mir wie ein Spiel vorgekommen. Nach unserem Gespräch dagegen habe ich ihn genauer betrachtet und habe einen Mann mit feinen Zügen, tiefliegenden blauen Augen, groß, mit einem langen grauen Schnurrbart und vollem, fast weißem Haar gesehen. Er ist mir sehr vernünftig erschienen und alles in allem sympathisch, trotz einiger nervöser Tics, die seinen Mund verzerrten. Im Hinausgehen wollte ich ihm sogar die Hand geben, aber mir ist noch rechtzeitig eingefallen, dass ich einen Menschen getötet hatte.
Am nächsten Tag hat mich ein Anwalt im Gefängnis besucht. Er war klein und rund, ziemlich jung, mit sorgfältig geschniegeltem Haar. Trotz der Hitze (ich war in Hemdsärmeln) hatte er einen sonderbaren Schlips mit breiten schwarz-weißen Streifen an. Er hat die Aktentasche, die er unterm Arm trug, auf mein Bett gelegt, hat sich vorgestellt und gesagt, er hätte meine Akte studiert. Mein Fall wäre heikel, aber er zweifelte nicht am Erfolg, wenn ich ihm vertraute. Ich habe ihm gedankt, und er hat gesagt: «Kommen wir zum Kern der Sache.»
Er hat sich aufs Bett gesetzt und hat mir erklärt, man hätte Erkundigungen über mein Privatleben eingezogen. Man hätte gehört, dass meine Mutter kürzlich im Altersheim gestorben wäre. Man hätte dann in Marengo ermittelt. Die Untersuchungsrichter hätten erfahren, dass ich bei Mamas Beerdigung «Gefühllosigkeit an den Tag gelegt» hätte. «Wissen Sie, es ist mir ein bisschen peinlich, Sie das zu fragen», hat mein Anwalt gesagt. «Aber es ist sehr wichtig. Und es wird ein starkes Argument für die Anklage sein, wenn ich dem nichts entgegenhalten kann.» Ich sollte ihm helfen. Er hat mich gefragt, ob ich an jenem Tag Kummer gefühlt hätte. Diese Frage hat mich sehr gewundert, und mir schien, dass es mir sehr peinlich gewesen wäre, wenn ich sie hätte stellen müssen. Ich habe jedoch geantwortet, ich hätte es mir ein bisschen abgewöhnt, mich selbst zu befragen, und es fiele mir schwer, ihm Auskunft zu geben. Sicher hätte ich Mama gerngehabt, aber das hieße nichts. Alle vernünftigen Menschen hätten mehr oder weniger den Tod derer gewünscht, die sie liebten. Hier hatte der Anwalt mich unterbrochen und hat sehr aufgeregt gewirkt. Ich musste ihm versprechen, das weder bei der Verhandlung noch vor dem Untersuchungsrichter zu sagen. Dennoch habe ich ihm erklärt, es läge in meiner Natur, dass meine körperlichen
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