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Der Fremde (German Edition)

Der Fremde (German Edition)

Titel: Der Fremde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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qualvoll war, unter dem blendenden Regen, der vom Himmel fiel, stillzustehen. Hierbleiben oder weggehen lief auf dasselbe hinaus. Nach einer Weile bin ich wieder an den Strand zurückgekehrt und losgegangen.
    Es war dieselbe rote Explosion. Auf dem Sand hechelte das Meer mit den schnellen, erstickten Atemzügen seiner kleinen Wellen. Ich ging langsam in Richtung der Felsen und fühlte meine Stirn unter der Sonne anschwellen. Diese ganze Hitze stemmte sich auf mich und widersetzte sich meinem Vorankommen. Und jedes Mal, wenn ich ihren starken heißen Atem auf meinem Gesicht fühlte, biss ich die Zähne zusammen, ballte die Fäuste in den Hosentaschen, spannte mich ganz an, um die Sonne und diesen undurchdringlichen Taumel, den sie über mich ergoss, zu bezwingen. Bei jedem Lichtschwert, das aus dem Sand emporgeschossen kam, aus einer gebleichten Muschel oder einer Glasscherbe, verkrampften sich meine Kiefer. Ich bin lange gegangen. Ich sah von weitem die kleine dunkle Masse des Felsens, umgeben von einem blendenden Hof aus Licht und Meeresdunst. Ich dachte an die kühle Quelle hinter dem Felsen. Ich hatte Lust, das Murmeln ihres Wassers wiederzuhören, Lust, der Sonne, der Anstrengung und den Frauentränen zu entfliehen, Lust, den Schatten und seine Ruhe wiederzufinden. Aber als ich näher heran war, habe ich gesehen, dass Raymonds Typ zurückgekommen war.
    Er war allein. Er lag entspannt auf dem Rücken, die Hände unter dem Nacken, den Kopf im Schatten des Felsens, mit dem Körper ganz in der Sonne. Sein Blaumann dampfte in der Hitze. Ich war ein bisschen überrascht. Für mich war diese Geschichte erledigt, und ich war dahin gekommen, ohne daran zu denken.
    Sobald er mich sah, hat er sich ein wenig aufgerichtet und hat die Hand in die Tasche gesteckt. Ich habe natürlich Raymonds Revolver in meiner Jacke fester umfasst. Dann hat er sich wieder nach hinten sinken lassen, aber ohne die Hand aus der Tasche zu nehmen. Ich war ziemlich weit von ihm entfernt, etwa zehn Meter. Ich ahnte hin und wieder seinen Blick durch seine halb geschlossenen Lider. Aber meistens tanzte sein Bild vor meinen Augen in der lodernden Luft. Das Geräusch der Wellen war noch träger, noch verhaltener als am Mittag. Es war dieselbe Sonne, dasselbe Licht auf demselben Sand, der sich bis hierhin erstreckte. Schon seit zwei Stunden rückte der Tag nicht weiter vor, zwei Stunden, seit er in einem Ozean aus kochendem Metall Anker geworfen hatte. Am Horizont ist ein kleiner Dampfer vorbeigezogen, und ich habe seinen schwarzen Fleck am Rande meines Blickfelds geahnt, weil ich ununterbrochen den Araber angesehen habe.
    Ich habe gedacht, dass ich nur umzukehren brauchte, und es wäre vorbei. Aber der ganze vor Sonne flimmernde Strand drängte sich hinter mir. Ich bin ein paar Schritte auf die Quelle zugegangen. Der Araber hat sich nicht gerührt. Trotz allem war er noch ziemlich weit weg. Vielleicht wegen der Schatten auf seinem Gesicht sah er so aus, als ob er lachte. Ich habe gewartet. Das Brennen der Sonne stieg mir in die Wangen, und ich habe gespürt, dass sich Schweißtropfen in meinen Augenbrauen sammelten. Es war dieselbe Sonne wie an dem Tag, als ich Mama beerdigt habe, und wie neulich tat mir vor allem die Stirn weh, und alle ihre Adern pochten auf einmal unter der Haut. Wegen dieses Brennens, das ich nicht mehr aushalten konnte, habe ich eine Bewegung nach vorn gemacht. Ich wusste, dass es dumm war, dass ich die Sonne nicht loswürde, wenn ich mich einen Schritt von der Stelle bewegte. Aber ich habe einen Schritt gemacht, einen einzigen Schritt nach vorn. Und diesmal hat der Araber, ohne sich aufzurichten, sein Messer gezogen und es mir in der Sonne vorgezeigt. Das Licht ist auf dem Stahl aufgespritzt, und es war wie eine lange funkelnde Klinge, die mich an der Stirn traf. Im selben Augenblick ist der in meinen Brauen angesammelte Schweiß mit einem Mal über die Lider gelaufen und hat sie mit einem warmen, zähen Schleier überzogen. Meine Augen waren hinter diesem Vorhang aus Tränen und Salz blind. Ich fühlte nur noch die Beckenschläge der Sonne auf meiner Stirn und, undeutlich, das aus dem Messer hervorgeschossene glänzende Schwert, das immer noch vor mir war. Diese glühende Klinge zerfraß meine Wimpern und wühlte in meinen schmerzenden Augen. Und da hat alles gewankt. Das Meer hat einen zähen, glühenden Brodem verbreitet. Es ist mir vorgekommen, als öffnete sich der Himmel in seiner ganzen Weite, um Feuer herabregnen zu lassen.

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