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Der fremde Pharao

Der fremde Pharao

Titel: Der fremde Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Si-Amun ließ ihn ziehen. Tani verließ Kamose und stellte sich zu Si-Amun.
    »Hat Ramose«, sagte sie so leise, dass nur er es hören konnte, »zufällig eine Botschaft für mich gehabt?« In einer solchen Situation, wollte Si-Amun schon verächtlich zurückgeben. Sei nicht albern! Aber er biss sich auf die Zunge und zwang sich zur Freundlichkeit.
    »Nein, Tani, hat er nicht«, erwiderte er. »Er wollte unbedingt Vater sprechen und dann nichts wie weg. Falls man ihn beim Durchqueren unserer Linien geschnappt hätte, er wäre hingerichtet worden, und das weißt du.«
    »Ja, natürlich.« Sie legte die Hand auf die Wange. »Wie dumm von mir. Es ist nur …« Si-Amun packte sie bei den Schultern.
    »Du weißt, dass er dich liebt«, versicherte er ihr. »Er hätte uns in jedem Fall gewarnt, denn er ist ein Ehrenmann, aber gewiss hat er an dich gedacht, als er sich in jener Nacht zu Vaters Zelt geschlichen hat. Sei tapfer, Tani.«
    »Ich habe es satt, tapfer zu sein«, sagte sie. »Ich will etwas anderes. Ich will glücklich sein.« Sie wirbelte herum und lief aus dem Saal. Aahotep, die noch kein Wort gesagt hatte, stand auf und folgte ihr.
    Si-Amun ging zu seiner Großmutter. Ich komme mir vor wie ein Kindermädchen, dachte er, und die Verzweiflung packte ihn. Wie die Mutter von fünf weinenden Kindern. Warum wollen sie alle Trost und Entscheidungen von mir? Er erhielt die Antwort, als er sich vor Tetischeri hockte, die unbeweglich und prächtig mit ihrem funkelnden Geschmeide dasaß. Weil du jetzt Fürst und Nomarch bist. Du bist das Familienoberhaupt. »Großmutter?«, fragte er. Sie streckte eine zitternde Hand aus. Si-Amun ergriff sie, sie fühlte sich so kalt an wie Schlangenhaut.
    »Ich habe ihm vertraut«, sagte sie rau. »O ihr Götter, ich habe ihn sogar geliebt! Seine Schande ist auch meine. Diese Schmach ertrage ich nicht.« Sie wandte Si-Amun ihr maskenhaftes Gesicht zu. »Müssen wir die Trauerzeit wirklich abwarten?« Ihre übermenschliche Beherrschung war furchtbarer und anrührender als Aahoteps Ausbruch im Garten oder Tanis ungehemmte Tränenflut. Da wusste Si-Amun, was er zu tun hatte. Siebzig Tage Trauer, eine Bestattung und ein Prozess, der unvermeidbar in die Öffentlichkeit drang, das forderte von den Familienmitgliedern mehr, als sie erdulden konnten, würde ihre Einigkeit und Stärke zerstören, die jetzt schon angegriffen war und an die sie sich verzweifelt klammerten. Und über allem dräute die Gewissheit, dass der König sie aburteilen würde. Es war zu viel. Zwar mochten Narben bleiben, jedoch keine entstellenden, und dafür, so beschloss Si-Amun, werde ich Sorge tragen.
    »Vielleicht nicht«, sagte er leise. »Geh in deine Gemächer, Großmutter. Uni!« Der Haushofmeister reagierte flink. »Begleite die Fürstin zu ihren Gemächern und übernimm erst einmal die Pflichten ihres Dieners.« Tetischeri kam auf Unis Arm gestützt mühsam hoch. Auf einmal sah man ihr ihre zweiundsechzig Jahre an. Si-Amun warf dem Bürgermeister einen Blick zu, doch er und Kamose waren in ein Gespräch vertieft.
    Si-Amun winkte dem Hohen Priester, und Amunmose kam herbeigeeilt. Si-Amun zog ihn in den nächtlichen Garten. Draußen, außerhalb des gelben Lampenscheins, lagen die leeren Blumenbeete und der verdorrte Rasen in erstickendem Dunkel. Zwischen matten Sternen hing ein schmaler, bleicher Mond, dessen Licht zu schwach war, um sich auf dem trüben Wasser des Teiches zu spiegeln. Die kahlen Sträucher waren kaum erkennbare dunkle Flecken vor der Mauer des alten Palastes.
    Si-Amun führte den Hohen Priester die warmen Steinstufen zwischen den Pfeilern hinunter und blieb stehen, als ihnen die Nachtluft entgegenwehte. »Amunmose«, sagte er ruhig, »wir kennen uns noch nicht sehr gut, du und ich. Wir unterhalten uns bei Amuns Festen und bei anderen Festlichkeiten, aber alles, was mit dem Gott zu tun hat, ist zwischen dir und meinem Vater getan worden, nicht mit mir.« Er zögerte, suchte nach Worten.
    Amunmose, der seine Gedankengänge falsch deutete, warf besorgt ein: »Du musst nicht befürchten, dass ich meine Pflichten dir gegenüber nicht ebenso peinlich genau wahrnehme wie bei deinem Vater, Fürst. Du bist jetzt Nomarch. Das Wohlergehen von Amuns Dienern und das Vorrecht, unmittelbar mit dem Gott zu sprechen, liegt bei dir.« Si-Amun rang sich ein Lächeln ab. Amunmoses Gesicht war in der Dunkelheit ein bleiches, besorgtes längliches Rund.
    »Ich zweifle nicht an deiner Ehrlichkeit bezüglich deiner

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