Der fremde Pharao
Pflichten«, beruhigte er den Priester. »Der Gott, dem wir hier in Waset mit größter Aufrichtigkeit dienen, mag in den Machtzentren Ägyptens vielleicht vergessen sein, aber kein anderer Gott hat eine treuere Priesterschaft als dich und deine Helfer. Nein. Ich muss dich um einen Gefallen bitten.«
Er hielt inne. In seinem Inneren war eine Stimme aufgewacht und wisperte ihm zu: Noch ist es Zeit, davon abzulassen. Frag etwas Unverfängliches. Du bist noch so jung, Fürst, hast so viel zu verlieren. Was soll aus deiner Frau, deinem Sohn werden? Jäh fröstelte ihn in der nächtlichen Brise. Amunmose blickte ihn erwartungsvoll an. Si-Amun holte tief Luft.
»Ich brauche dich zum Mischen eines Giftes«, sagte er vorsichtig. »Ich weiß, dass die Seth-Priester in solchen Dingen kundiger sind als alle anderen, aber ich möchte nicht, dass etwas über meine Absichten nach Norden durchsickert.«
»Gebieter«, warf Amunmose mit belegter Stimme ein, »ehe ich das tue, muss ich mehr über den Zweck wissen. Ich bin Amun-Priester. Ich will nicht das Gesetz der Maat brechen und auch nicht meine Aussichten gefährden, im Gerichtssaal unter Anubis’ Blick günstig gewogen zu werden.« Sein Gesicht war faltiger und gequälter geworden, es wirkte im farblosen Mondschein richtig ausgezehrt.
»Du weißt, dass Mersu für seinen Verrat vor Gericht kommt«, sagte Si-Amun. »Du weißt auch, dass er nicht hingerichtet werden kann, ehe mein Vater bestattet ist. Ich möchte mein eigenes Urteil an ihm vollstrecken, und das aus zwei Gründen.« Er hob die Hand, als er sah, dass Amunmose den Mund zum Protest aufmachte. »Hör mich zu Ende an, ehe du ablehnst, Hoher Priester. Vater wird erst in gut zwei Monaten bestattet. In dieser Zeit muss Mersu auf dem Anwesen bewacht werden, eine ständige Quelle des Kummers und Zorns für die Mitglieder meiner Familie, die schon jetzt mehr als genug zu tragen haben. Mein anderer Grund ist dieser: Ich will dem König keine Gelegenheit geben, Mersu freizulassen. Denn das wird er, glaube ich, versuchen, wenn er hört, dass Mersu aufgeflogen ist. Dazu ist ihm jede Ausrede recht. Eine Stellung im Norden, ein Befehl, sich mit seinem eigenen Oberhofmeister zu beraten, irgendetwas. Und ich müsste gehorchen. Mersu soll der Verurteilung nicht entkommen. Ich selbst werde ihn umbringen.«
Amunmose schwieg mit gesenktem Kopf. Si-Amun konnte sein Gesicht nicht mehr sehen, nur den leichten Schimmer seines rasierten Schädels und seine massige Gestalt. Er wartete ergeben und geduldig. Auch du bist mein Richter, dachte Si-Amun. Wenn du ablehnst, muss ich sehen, wie ich weiterlebe, wenn du jedoch einwilligst, betrachte ich deine Worte als Botschaft der Götter, dass auch ich sterben muss. Er war vollkommen ruhig. Der kalte Schauder von vorhin war verflogen.
Schließlich hob Amunmose den besorgten Blick zu Si-Amun. »Diese Sache überschreitet die Grenzen der Maat«, machte er klar, »und ob richtig oder falsch, hängt vollkommen vom Charakter und der Tugend der darin Verwickelten ab. Dennoch bittest du mich um mehr als um einen Giftbecher, Fürst. Du willst wissen, wie weit meine Treue reicht.« Vermutlich, dachte Si-Amun überrascht. Ich bin froh, dass ich dir für das Gift kein Gold geboten habe. Er nickte.
»Daran hatte ich noch gar nicht gedacht«, gestand er. »Deine Treue zu dieser Familie ist, was mich angeht, noch nie in Frage gestellt worden. Bekomme ich nun eine Antwort, Amunmose?« Der Hohe Priester seufzte.
»Fürst, ich vertraue darauf, dass du wie dein Vater das Rechte tust. Ich werde das Gift für dich zubereiten lassen. Mersu verdient den Tod.«
»Sei bedankt.« Amunmose fasste die Worte als Entlassung auf, verbeugte sich und ging. Si-Amun sah einen Augenblick hinter ihm her, wie er gemessen in Richtung der Bootstreppe schritt, wo seine Sänftenträger dösten, während sie darauf warteten, dass sie ihn zu seinen Räumen im Tempel zurücktrugen. Dann verschluckten ihn die Schatten. Si-Amun wandte sich ab, hatte jedoch weiche Knie.
Ehe er in der Geborgenheit seiner eigenen Räume zusammenbrach, zwang er sich, zu Mersus Zelle zu gehen. Der Haushofmeister wurde in seinem eigenen kleinen Zimmer gefangen gehalten, und als sich Si-Amun näherte, kam Hor-Aha steif vom Boden neben der geschlossenen Tür hoch. Zwei Wachposten salutierten. »Du musst nicht hier bleiben«, sagte Si-Amun zu Hor-Aha, denn ihm war aufgefallen, wie bleich der General war. »Lass dir die Schulter neu verbinden und schlaf dann. Du
Weitere Kostenlose Bücher