Der fremde Pharao
mit steifen Lippen ab, machte auf den Fersen kehrt und ging.
Zehntes Kapitel
In dieser Nacht lag Si-Amun allein und schlaflos auf seinem Lager und lauschte dem Kummer von Wasets Einwohnern. Auf den Straßen trauerten die Klageweiber laut um Seqenenre, und ihr schrilles Wehgeschrei klang weit über den Fluss und hallte von den Mauern des alten Palastes wider. Die siebzig Tage Trauer um den Fürsten hatten begonnen. Im Haus des Todes lag sein Leib ohne Eingeweide in Natron eingepackt und wurde von Sem-Priestern bewacht, die von Zeit zu Zeit pflichtschuldigst beteten, ehe sie sich wieder ihren sonderbaren Tätigkeiten widmeten.
Zwei Tage später stellte sich Amunmose wieder ein. Si-Amun, der an einem der Pfeiler lehnte, die vom Arbeitszimmer seines Vaters auf die Stufen des Vorbaus führten, und Hor-Ahas trockenem Bericht lauschte, der vom Befinden der verbleibenden Soldaten sprach, sah den Hohen Priester durch den Garten kommen. Er hatte sich in einen knöchellangen weißen, steif gestärkten Schurz gekleidet, dessen Falten raschelten. Seine Sandalen waren aus rotem Leder, das Pektoral auf seiner braunen Brust war aus Gold und Jaspis und seine Augen waren mit schwarzem Kohl umrandet. Über einer Schulter lag das Leopardenfell. Zu beiden Seiten gingen Tempeldiener, einer trug den weißen Stab mit Amuns goldenen Federn, der andere einen kleinen hölzernen Kasten.
Si-Amun hob die Hand und Hor-Aha hörte auf zu sprechen. »Wir machen später weiter«, sagte er. »Amunmose ist in amtlicher Eigenschaft hier, glaube ich, mit dem Namen meines Sohnes. Lass Aahmes-nofretari holen. Sag ihr, sie soll den Besuch des Hohen Priesters erwarten.« Er hörte Hor-Aha kaum fortgehen. Seine Augen hingen an dem harmlos aussehenden Kasten in den Händen des kleinen Jungen, als Amunmose an den Stufen stehen blieb und sich verbeugte; daher schaffte er es nur, den Hohen Priester zu begrüßen und ihn aufzufordern, in den vergleichsweise kühlen Vorbau zu treten.
Amunmose stieg die Stufen hoch, ihm standen Schweißtropfen auf der Stirn. »Nur Mut, mein Freund!«, sagte Si-Amun lächelnd und winkte ihn weiter. »Nur noch ein paar Tage bis zur Überschwemmung. Hast du einen Namen für meinen Sohn mitgebracht?« Doch bei diesen Worten wanderte sein Blick immer wieder zu dem Tempeldiener, der gehorsam draußen in der Sonne stand. Amunmose verbeugte sich erneut, merkte aber, dass Si-Amun nicht bei der Sache war.
»In der Tat, Fürst. Ich habe auch die Sache mitgebracht, um die du mich gebeten hast. Geh behutsam damit um. Ein Tropfen auf die Haut und sie ist verbrannt.« Si-Amun riss den Blick los und wandte sich wieder dem Priester zu.
»Lass uns erst über das Leben reden«, bat er ruhig, obwohl es ihm kalt über den Rücken lief. »Was sagen die Astrologen?« Er wartete ängstlich, dachte dabei an sein erstes Kind, den kleinen Jungen, den er gar nicht kennen gelernt hatte und der jetzt in einem unfertigen Grabmal lag. Amunmose lächelte.
»Du wirst, glaube ich, zufrieden sein«, sagte er. »Sie haben den Namen Ahmose-onch gewählt.« Ahmose-onch. Si-Amun wurde leicht ums Herz. Das war ein guter, ordentlicher Name, altehrwürdig und beruhigend, vertraut und bequem wie die vergehende Traumzeit in Waset. Es war nur recht, dass das Kind den Namen Ahmose tragen sollte, der sich als einziges der männlichen Familienmitglieder sein sonniges Gemüt bewahrt hatte und von Krieg und Zerstörung nicht direkt berührt worden war, und die Nachsilbe ›onch‹, eine Ableitung von ›anch‹, dem Zeichen des Lebens schlechthin, verlieh dem Namen noch mehr Kraft. Si-Amun erwiderte das Lächeln des Hohen Priesters.
»Er ist wirklich annehmbar«, sagte er. »Geh zu Aahmes-nofretari und teile ihn ihr mit.« Doch zunächst schnipste Amunmose mit den Fingern, und der kleine Tempeldiener kam die Stufen hochgelaufen. Er verbeugte sich vor Si-Amun und überreichte ihm den Kasten.
»Ein Geschenk für deinen Sohn von mir«, sagte Amunmose wegen des Tempeldieners, doch mit einem warnenden Blick zu Si-Amun. »Es ist sehr kostbar, Fürst. Hüte es gut.«
Si-Amun nahm es entgegen, legte dem schwarzhaarigen Tempeldiener die Hand auf den Kopf, schaffte es, den Priester zu verabschieden, und ging dann in das leere Arbeitszimmer. Das Holz in seinen Fingern war warm, und Zedernduft stieg ihm in die Nase. Zitternd klappte er den Deckel auf. Im Kasten lag ein Alabastertöpfchen, dessen Stöpsel fest mit Wachs versiegelt war. Si-Amun blickte es starr an, dann schlug er den
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