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Der fremde Pharao

Der fremde Pharao

Titel: Der fremde Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Abend erschienen Diener mit Gerstenbier und Rotwein, Trauben und Feigen, Granatäpfeln, Brot und Honigkuchen. Während Re langsam verschluckt wurde und das Land in seinen roten Schein tauchte, schwiegen sie endlich, lagen in freundschaftlicher Umarmung nebeneinander und sahen zu, wie die Sonne verschwand.
    Als das Licht verblasste und die ersten Sterne an einem Himmel erschienen, der noch immer einen ganz schwachen blauen Abglanz des Tages zeigte, nahm Si-Amun seinen Sohn in die Arme und begleitete Aahmes-nofretari zu ihren Gemächern. Als sie dort waren, drehte sie sich zu ihm um. Hinter ihnen entzündete Raa die Lampen, stellte frisches Wasser für die Nacht bereit und schlug die Laken auf dem Lager zurück. »Das war ein wunderschöner Nachmittag«, sagte Aahmes-nofretari seufzend und wollte ihn küssen. »Wenn wir nicht um Vater trauerten, wenn wir nicht so bekümmert wären, er wäre vollkommen gewesen. Aber du bist nicht du selbst, Si-Amun.« Er erwiderte ihren Kuss, fühlte, wie man ihm das leichte Gewicht seines Sohnes aus den Armen nahm, und dann brachte Raa den Kleinen ins Kinderzimmer.
    »Keiner von uns ist er selbst«, sagte er. »Vielleicht werden wir nie wieder, wie wir einmal gewesen sind. Wie könnten wir auch? Die Zukunft ist sehr dunkel, Aahmes-nofretari. Ich liebe dich und nichts anderes zählt.« Sein Blick wanderte kurz über ihr Gesicht: die straffe, fast schwarz gebräunte Haut, die braunen Augen, die ohne Schminke so klar und sanft waren, der wohlgeformte, bewegliche, ein wenig hellere Mund. »Schlaf gut«, sagte er abschließend. Sie lächelte, nickte und machte die Tür hinter ihm zu.
    Die Flure waren, abgesehen von den Wachposten, leer, als Si-Amun zu seinen eigenen Gemächern ging, und im Haus war es still, die Bewohner waren erschöpft von der Hitze des Tages. Während er dem Platschen seiner Sandalen auf den Fliesen lauschte, überlegte er, was die Familienmitglieder wohl machten. Der Drang umzukehren, nachzusehen war stark, doch er widerstand ihm, denn es war ja nur ein Versuch seines Kas, ihn von seinem Ziel abzulenken. Damit war niemandem gedient. Er wusste, wo sie waren. Sie waren sein Fleisch und Blut, ihre Persönlichkeiten, ihre Gewohnheiten waren wie seine durch dieses schäbige, alte Haus geformt worden. Tetischeri würde beten oder sich in ihrem Zimmer Geschichten erzählen lassen. Seine Mutter würde sich mit Isis unterhalten und in Erinnerungen an Seqenenre schwelgen. Aahmes-nofretari … Lieber nicht an sie denken, wie sie die Arme hochhielt, damit Raa ihr das durchsichtige Nachthemd über den Kopf ziehen konnte, wie sie ins Kinderzimmer ging und sich ein letztes Mal über ihr entspannt schlafendes Kind beugte. Kamose würde wieder auf den Beinen sein, wenn auch noch unbeholfen, und allein und ohne Lampe im Garten sitzen und Gedanken wälzen, die niemand in der Familie teilte, er würde sein Lager noch nicht aufsuchen wollen, und Ahmose wanderte wahrscheinlich mit einer Leibwache am Fluss entlang. Tani würde schlafen.
    Si-Amun erwiderte den förmlichen Gruß des Wachpostens vor seiner Tür und trat ein. Das Zimmer war leer, doch sein Diener hatte auf dem Tisch am Lager eine Lampe brennen lassen, hatte seinen kleinen Amun-Schrein geöffnet und frische Weihrauchkörner in den Halter daneben gelegt. Si-Amun ging zu dem Schrein, zündete die Holzkohle an, warf ein paar Körner auf, hob den Halter über den Schrein und begann seine Nachtgebete. Vor dem Tod seines Vaters hatte er sich selten die Mühe mit diesem Ritual gemacht, doch letztens drückte ihn die Verantwortung, die ihm Seqenenre aufgebürdet hatte, und so hatte er jeden Abend zu dem Gott gebetet, denn das gehörte zu den Pflichten gegenüber der Familie und dem Nomarchenposten, den er jetzt bekleidete. Er betete gewissenhaft und schloss den Schrein wieder. Er wusste nicht, ob die Gesetze der Götter, die Ägypten regiert hatten, das, was er vorhatte, gutheißen würden oder ob das furchtbare Ungeheuer Sobek, das immer neben der Waagschale wartete, ihn auslöschen würde. Aber es ist die einzige Möglichkeit, mich rein zu waschen, dachte er grimmig, als er den Kasten unter seinem Lager hervorzog und ihn auf den Tisch stellte. Ich muss ihnen das ganze Elend eines Prozesses gegen mich ersparen.
    Er trat zur Tür und ließ einen Diener eine Palette holen. Es war Jahre her, dass er eigenhändig geschrieben hatte, aber er war ein guter Schüler gewesen, hatte sich um die Zeichen bemüht, zunächst auf Tonscherben und

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