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Der fremde Pharao

Der fremde Pharao

Titel: Der fremde Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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zu genießen, doch dann waren seine Sinne geweckt, und die vertraute Erregung rieselte ihm den Rücken hinunter und bewog ihn innezuhalten. Er saß im Anblick des Pfades, der durch den Laubengang zur Bootstreppe führte. Er wusste, es war Winter, denn das üppige Grün ringsum erzählte von einer Überschwemmung, die noch nicht lange her war, dennoch hing der Wein dick und blau an den Reben, die Trauben bestaubt und reif. Gleich kommt sie, dachte er im Traum, und sein Magen zog sich zusammen. Gleich kommt sie. Bisweilen entfernte sie sich langsam von ihm, und er versuchte, hinterherzulaufen und sie zu fangen. Bisweilen tauchte sie jäh auf, immer mit abgewandtem Gesicht, und er bemühte sich, sie zu stellen, ehe der Traum verblasste, doch immer kam er zu spät. Viele Monate lang hatte der Traum eine köstliche Sehnsucht in ihm geweckt, doch nie hatte er mehr erblickt als ihren Rücken.
    Jetzt sah er zum Wein hinüber, wo sich der Pfad ins Dunkel des traubenbehangenen Spaliers wand, und ja, da war sie, stand mit erhobener Hand und schickte sich an, eine Traube zu pflücken. Unter dem durchsichtigen weißen Hemdkleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte, wurde ihr brauner Leib zu einer zierlichen Mitte schmal und rundete sich wieder zu zwei sanft geschwungenen Hüften. Sie war hoch gewachsen. Zwischen ihren Schulterblättern lag das goldene Gegengewicht eines Pektorals an einer Silberkette auf seidiger Haut. Sie stand hoch erhobenen Hauptes. Ihr Haar war voll, schwarz und glatt, schimmerte wie Krähenfedern im Sonnenschein, und Kamose konnte den Goldreif sehen, der mit winzigen Anchs behangen ihre Stirn umfasste. Darüber und gerade noch zu sehen bäumte sich der Rücken einer Kobra. Armreife aus Elektrum mit Lapislazuli umspannten ihre weichen Oberarme, und die langen Finger, die sie nach den Trauben ausstreckte, waren dicht beringt.
    Kamose war ganz schwach vor Verlangen und noch etwas anderem, denn dieser Traum war anders als die ermüdenden und sinnlichen Träume seiner Jünglingsjahre. Diese unbekannte Frau war die Summe all seiner Sehnsucht. Sie nahm eine Traube zwischen Daumen und Zeigefinger, drehte sie dabei ein wenig, und Kamose hielt den Atem an. Langsam, leise erhob er sich und schlich näher. Die Weinrebe schaukelte, als sie die Traube abzupfte und zum Mund hob. Dabei erhaschte Kamose einen verlockenden Blick auf ihre Wange. Er bewegte sich behutsam, nur ja kein Geräusch machen. In früheren Träumen hatte er sie angerufen, war schreiend hinter ihr hergestolpert, doch bei jedem Geräusch seinerseits hatte sie sich verflüchtigt. Also ging er jetzt verstohlen vor. Ihre Hand war heruntergesunken. Kamose sah, wie das silberdurchwirkte Leinen die Bewegung mitmachte. Die Lippen vor Anspannung geöffnet, die Fäuste geballt, stahl er sich näher. Fast hatte er sie schon erreicht. Sie stand ganz still da, so als lauschte sie. Jetzt konnte er ihre Duftsalbe riechen. Der Myrrheduft entzückte und betäubte ihn. Noch nie hatte er so nahe an sie herankommen können. Sein Herz raste wie wild, als er stehen blieb. Er streckte die Hand aus, wollte ihre Schulter anfassen, und einen köstlichen Augenblick lang berührte er sie. Sie war kühl, und seine Finger glitten über eine Haut, die wie sanftes Öl war.
    Doch dann packte jemand sein Handgelenk, und er war nicht länger im Garten. Er lag auf dem Rücken, auf seinem Lager im Dunkel einer stickigen Sommernacht, und jemand beugte sich über ihn. Der Verlust schmerzte und verstörte ihn, und er wollte mühsam hochkommen. »Kamose!«, zischte eine Stimme an seinem Ohr. »Wach doch bitte auf! Ich mache mir solche Sorgen.« Als er dann saß, zitterte er. Seine Kopfstütze war zu Boden gefallen, und er hatte mit dem Kopf auf der nackten Matratze geschlafen. Er rieb sich die Schultern.
    »Tani!«, staunte er und hätte so gern den Traum bewahrt, der ihn ganz schwach vor Sehnsucht machte. »Was ist los?« Sie sank neben seinen Knien zu Boden.
    »Es geht um Si-Amun«, platzte sie heraus. »Ich konnte heute Nacht nicht schlafen und bin im Haus herumgegeistert. Da habe ich ihn auf dem Flur in der Nähe von Mersus Zelle getroffen. Er hatte einen Dolch und einen Krug in der Hand. Er hat zugegeben, dass er Mersu umbringen wollte, und ich habe ihm bestätigt, dass dazu guter Grund besteht. Aber der Krug … Ich habe solche Angst, Kamose. Er war so entrückt, so kühl, aber seine Augen waren sonderbar. Das ist mir erst später aufgefallen. Was war in dem Krug?« Kamose legte ihr

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