Der fremde Pharao
beschwichtigend die Hand auf den Kopf und schwang die Beine über die Bettkante.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte er, obwohl auch er ungute Gefühle verspürte. »Er hätte das Gesetz nicht in die eigene Hand nehmen dürfen, obwohl Mersu den Tod verdient hat. Einen Menschen zu töten fällt schwer, Tani, sogar in der Hitze des Gefechts. Kein Wunder, dass Si-Amun sonderbar geblickt hat. Warte draußen. Ich will mir nur einen Schurz umbinden, dann suchen wir ihn.«
»Danke, Kamose. Du kannst wirklich gut trösten.« Sie stand vom Lager auf und ging eilig zur Tür. Auch Kamose stand auf und zog einen Schurz aus der Truhe an der Wand. Trösten, ich?, dachte er. Ach, Tani, du solltest mich in meinen Träumen sehen! Si-Amun, wenn du doch nur nicht wegen Mersu den Kopf verloren hättest. Ein ordentlicher Prozess und eine Hinrichtung wären mehr im Sinne der Maat gewesen. Großmutter wird dich schlimm schelten. Er trat zu Tani auf den Flur.
Noch hing die Nacht dunkel im Haus, und die an den Wänden angebrachten Fackeln fauchten. Die beiden gingen zu Si-Amuns Gemächern, die unweit von Kamoses gelegen waren, und kamen an Ahmoses Tür vorbei. Ahmoses Wachposten salutierte, und sie wollten schon weitergehen, als die Tür aufging und Ahmoses verschlafenes Gesicht auftauchte. »Was geht hier vor?«, fragte er. »Vor einem Weilchen habe ich den Wachposten salutieren hören, und jetzt ihr beiden.«
»Das muss Si-Amun gewesen sein«, rief Tani. »Ist er zurückgekommen?«, fragte sie den Soldaten.
»Nein, Prinzessin«, antwortete der. »Er hat kurz mit mir geredet und ist weitergegangen. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Wir werfen trotzdem einen Blick in sein Zimmer«, entschied Kamose. »Komm mit, Ahmose.« Er verstand nicht, wieso ihn eine nicht greifbare Angst überkam. Ahmose hatte ein Laken in der Hand, das wickelte er sich jetzt um die Mitte.
»Hat Si-Amun Mersu umgebracht?«, sagte er, als sie weiterhasteten. »Echt komisch! Ausgerechnet er, der immer so peinlich darauf bedacht ist, dass alles seine rechte Ordnung hat. Kaum zu glauben!« Ja, so ist er, schoss es Kamose durch den Kopf. Si-Amun, der hartnäckige Verfechter des Protokolls und Verteidiger der Richtlinien, nach denen Fürsten zu leben hatten.
Dann erreichten sie Si-Amuns Tür. Sie war geschlossen. Kamose grüßte den Wachposten. »Ist mein Bruder im Zimmer?«, fragte er. Der Mann schüttelte den Kopf.
»Nein, Prinz, das ist er nicht. Er ist vor ungefähr einer Stunde weggegangen und hat mir aufgetragen, dir das hier zu geben, wenn meine Wache beendet ist.« Kamose nahm die Rolle. Die Angst, die immer mehr zugenommen hatte, trieb ihn zu größerer Eile an. Er wollte zu Si-Amun laufen, wo immer der war, wusste jedoch nicht warum. Die Botschaft war nicht versiegelt. Kamose rollte sie auf, hielt sie in den Fackelschein und las rasch. Er schrie auf und las noch einmal. Dann schob er Tani grob dem Soldaten zu. »Du bleibst hier!«, befahl er. »Und rührst dich nicht vom Fleck, verstanden? Warte auf mich. Und du passt auf sie auf«, rief er über die Schulter zurück, während er bereits den Gang entlangrannte. »Ahmose! Komm!«
»Was steht in der Rolle?«, keuchte Ahmose hinter ihm.
»Unser Spion war Mersu, aber Si-Amun hat ihm die ganze Zeit Informationen geliefert. Er will Mersu töten und dann sich selbst. Beeil dich!«, sagte Kamose.
»Ihr Götter!«, ächzte Ahmose. Sie bogen zu den Frauengemächern ab. Gleich darauf kamen sie vor Mersus Zelle abrupt zum Stehen. Der Wachposten war bleich und sichtlich erleichtert, als er sie erblickte. Er salutierte zitternd.
»Oh, Prinz Kamose, bin ich froh, dass du da bist! Fürst Si-Amun ist drinnen. Er hat mir befohlen, auf gar keinen Fall hineinzugehen, und ich muss doch gehorchen, aber da drinnen ist etwas Schreckliches passiert, und er ist nicht wieder herausgekommen.«
»Du Dummkopf!«, fuhr Kamose ihn an. »Ein guter Soldat muss sich bisweilen auf sein eigenes Urteil verlassen. Sperr die Tür auf und geh hinein.«
Der Mann fummelte an der Tür herum und schob sie auf. Dann legte er den Speer ab, zog sein Messer und trat vorsichtig ein. Kamose und Ahmose folgten. Der Raum war sehr schwach beleuchtet. Die Lampe am Lager spuckte bereits, weil das Öl zur Neige ging, und flackernde Schatten zuckten durch die Zelle. Kamose wäre fast über Mersus Leiche gestolpert. Rasch kniete er sich hin, und sein geübtes Auge sah nicht nur das Meer von Blut, das jetzt fast getrocknet war und trübbraun aussah,
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