Der fremde Pharao
sondern auch die tödliche Wunde unter dem Ohr. Er drehte die Leiche auf den Rücken. Mersus Unterleib war zerfleischt.
Ahmose war an ihm vorbei-und zu der Leiche gesprungen, die auf dem Lager alle viere von sich streckte. Wie gebannt blieb er stehen. »Kamose!«, flüsterte er mit erstickter Stimme. Sein Bruder kam langsam hoch, er spürte, wie die Last einer grimmigen Gewissheit seine Bewegungen linkisch machte, zwang sich aber, an Mersu vorbeizugehen und den Blick auf den dort Liegenden zu richten. Si-Amuns Gesicht war im Todeskampf verzerrt, schwärzlicher Schaum stand um seine Lippen. Seine erstarrten Züge machten so viel Schmerz und Ergebung deutlich, dass Kamose wusste, er würde keine Einzelheit dieses Anblicks je vergessen können.
»Si-Amun!«, schrie er auf. »Si-Amun!« Er sank auf das Lager und zog Si-Amuns noch warmen Leib in die Arme, schmiegte die Wange an sein Haar und wiegte ihn. Ahmose stand da und sah wie betäubt zu. Kamose nahm den Erstarrten kaum wahr. Und dabei hätte er seinen Bruder am liebsten angebrüllt, er solle fortgehen und ihn seine schreckliche Reue voll ausleben lassen, doch er zwang sich daran zu denken, was nun zu tun war. »Ahmose, weck die Frauen und bring sie her. Lass sie aber nicht herein. Wachposten, hol Hilfe und lass Mersus Leiche erst einmal in die Ställe bringen. Weck die Dienerschaft. Ich will, dass dieser Raum auf der Stelle gesäubert wird, und lass frische Laken bringen.«
Ein paar kostbare Augenblicke war Kamose allein mit seinem Zwilling. Er weinte nicht so leicht, selbst jetzt nicht. Er wiegte Si-Amun noch immer in den Armen und streichelte seinen Kopf. Wenn die Zeiten besser gewesen wären, hätte deine Schwäche nichts ausgemacht, Si-Amun, sagte er im Geist, und ein kalter Zorn packte ihn. Wenn Vater von Anfang an König gewesen wäre, wenn du besser hättest unterscheiden können, was richtig und was rechtens ist, wenn du gelernt hättest, etwas zu wagen … Er küsste die leblose Stirn, und als er das tat, spürte er, wie echter Hass in ihm aufkeimte und rasch wuchs, ein dunkles, böses Gewächs. Apophis, dachte Kamose erbittert. Du bist schuld daran. Erst Vater und nun Si-Amun. Die Familie ist kleiner geworden, und daran bist du schuld, du Setiu-Schwein. Du fremdländische Krankheit. Die Schimpfwörter, mit denen er den König belegte, beschwichtigten seinen Kummer, doch sie waren mehr als nur ein Trost. Sie blieben hängen und nährten seinen frischen Hass, sodass der in ihm Wurzeln schlagen konnte.
Diener kamen angerannt und wischten auf Unis Befehl hin entsetzt und still das Blut auf und streuten frischen Sand auf den Boden. Mersus Leiche wurde weggeschafft. Uni und Kamose hoben Si-Amun an, damit das Laken auf dem Lager entfernt und ein frisches aufgezogen werden konnte, dann legten sie ihn sanft auf das lieblich duftende Leinen. Plötzlich war da eine Schüssel mit heißem Wasser, und als Kamose aufblickte, sah er Tani damit beschäftigt, einen Lappen auszuwringen. Die Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ahmose!«, schrie er zornig. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst die Frauen fern halten!« Ahmoses Gesicht erschien im Türspalt.
»Sie hat darauf bestanden«, sagte er. »Großmutter ist da und Mutter. Aahmes-nofretari kommt auch. Ich warte auf deine Anweisung, ehe ich sie einlasse.«
»Das ist kein Anblick für dich«, sagte Kamose brüsk zu Tani, doch die lächelte matt mit dem tropfenden Tuch in der Hand.
»Es ist meine Schuld«, sagte sie niedergeschmettert. »Ich bin zu dumm gewesen, ich habe nicht gemerkt, was vor sich ging, als ich ihm auf dem Flur begegnet bin. Wenn ich doch mit ihm gestritten hätte. Wenn ich doch gleich zu dir gelaufen wäre … Lass mich das tun, Kamose.«
»Es ist nicht deine Schuld«, sagte er grob. »Si-Amun hat diesen Augenblick schon vor langer Zeit gewählt.«
Sie antwortete nicht. Er trat zurück und sah ihr zu, wie sie mit kundiger Hand Si-Amuns verzerrtes Gesicht wusch und dann das verkrustete Blut von seinen schlaffen Händen und der reglosen Brust. Er wusste, dass er in Tani nie wieder ein unbefangenes Mädchen sehen konnte.
Als Kamose die Frauen dann ins Zimmer ließ, lag Si-Amun ordentlich da, die Arme am Leib, weißes Leinen bis zu den Lenden. Durch nichts jedoch ließ sich der Schmerz und das Entsetzen verbergen, unter denen er gestorben war und die sich so deutlich auf seinem Gesicht spiegelten. Aahmes-nofretari stürzte zu ihm, fiel neben ihm auf die Knie und legte den Kopf auf seine Brust.
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