Der fremde Pharao
hatte. Aus dem Saal kam ein Schwall schriller Musik und übertönte kurz die sanfteren Klänge der Harfe. Tetischeri erteilte einen Befehl, und die Reste des Mahls wurden fortgeschafft. Kamose bat die Diener, sich in ihre Quartiere zu begeben, und dann machte es sich die Familie in den Kissen bequem.
Lange Zeit sagte niemand etwas. Tani blickte in den verzaubernden Schein der Lampe und hielt den schlafenden Behek im Arm. Ahmose saß mit gespreizten Beinen da und trank, ohne dass es ihm schmeckte. Aahmes-nofretari kauerte dicht bei ihrer Mutter und spielte mit den Verzierungen an ihrem Gürtel. Auf einmal sah sie hoch und blickte sich um. »Das hier ist das Lebewohl für Tani«, sagte sie laut. »Wir Übrigen müssen noch ein wenig länger durchhalten. Es ist unerträglich. Unerträglich! Und damit hat Vater angefangen. Es ist seine Schuld. Er ist tot, er hat seinen Frieden, während wir die Folgen seiner Torheit tragen müssen. Ich bin so böse auf ihn!« Niemand schalt sie. Sie sagte nichts mehr, doch ihre verbitterte Stimme hielt alle gefangen.
»Du vergisst, was man Vater befohlen hatte«, sagte Tani sanft. »Du vergisst, dass Apophis ihm eine Falle gestellt, ihn gereizt hat, bis er keine andere Wahl mehr hatte. Sei ruhig böse, Aahmes-nofretari, aber nicht auf ihn.« Beim Klang ihrer Stimme bewegte sich Behek, wachte jedoch nicht auf. Seine Ohren zuckten.
»Was soll aus meinem Sohn werden?«, fragte Aahmes-nofretari nachdrücklich. »Welcher Mann, der jetzt schon unter dem Befehl des Königs, mich zu heiraten, leidet, wird den Sohn eines toten und entehrten Edelmanns als sein Eigen annehmen? Ahmose-onch ist ein unschuldiges Kind. Das hat er nicht verdient.«
»Es kommt darauf an, von welcher Seite du es betrachtest«, argumentierte Ahmose vernünftig. »Andererseits sind wir allesamt Verräter und leicht davongekommen. So könnte man es auch sehen.«
»Ja, könnte man«, bestätigte Kamose. »Vorwürfe sind nutzlos. Vielleicht kämpfen wir am Ende doch nicht um die wahre Maat und machen uns nur etwas vor.« Einhellig blickten ihn alle misstrauisch an. »Wir dürfen den Abend nicht damit verschwenden, dass wir immer wieder in unseren Wunden herumstochern«, fuhr er fort. »Lasst uns fröhlich sein. Lasst uns trinken und lachen und unsere Erinnerungen teilen. Aahmes-nofretari, die Götter erwarten, dass Fürsten wie Bauern Gutes tun und aufrechten Mut beweisen. Wir wollen sie nicht enttäuschen.« Tetischeri muckte auf.
»Du hörst dich schon genauso an wie dein Vater«, sagte sie spöttisch. »Zu viel Stolz, viel zu viel.« Diese Bemerkung ausgerechnet von der stolzesten aller Taos brach den Bann. Alles lachte schallend. Tetischeri blickte zunächst gekränkt, dann brachte sie ein kleines Auflachen zustande.
Aus dem Abend wurde Nacht. Wein ging von Hand zu Hand, und die alten Familienwitze wurden aufgewärmt. Wir gehören zusammen, dachte Kamose, und daran kann auch die Trennung nichts ändern, als Tani über etwas kicherte, was Ahmose gesagt hatte. Hier geht es um unsere Seele. Unter diesen Lachsalven trauern wir alle, sind alle verängstigt und allein, sehnen uns nach dem, was einmal war, aber wir wissen, dass wir schlicht Teile eines größeren Gefüges sind, das uns überdauert und weder durch Verbannung noch durch Tod zerstört werden kann.
Später klammerten sie sich halb betrunken aneinander und hatten sich nichts mehr zu sagen, doch Kamose wusste, dass er Recht hatte. Seqenenre und Si-Amun waren bei ihnen, schwebten vielleicht unsichtbar im Zelt, strömten aber gewisslich warm in ihren Adern und erneuerten sich in der roten Dunkelheit ihrer Herzen, wo auch schon Osiris Mentuhotep-neb-ha-pet-Re und die anderen Vorväter waren. Es war ein schwacher Trost, doch mehr hatten sie nicht.
Nach vielen Umarmungen und tränenreichen Küssen schlüpften sie aus dem Zelt. Ahmose steuerte auf den Fluss zu und zu seinem gewohnten Spaziergang am Ufer. Aahmes-nofretari wollte die Nacht bei Tani verbringen. Tetischeri und Kamose schritten durch die duftende Dunkelheit zu ihren Gemächern, und die allgegenwärtigen Wachen trabten schläfrig und gelangweilt hinter ihnen her. »Ich kann es nicht fassen, dass du sie kampflos, ohne Protest, ohne öffentlichen Einspruch ziehen lässt«, warf Tetischeri Kamose vor. »Es sieht fast so aus, als möchtest du, dass man sie fortbringt! Und was ist mit Aahmes-nofretari? Heirate sie schnell, Kamose, damit ihr Schicksal ein wenig freundlicher ausfällt. Was ist los mit dir?«
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