Der fremde Pharao
los und schufen sich Platz in dem sich bereits bewegenden Zug. Tanis Hand tauchte auf, zog die Vorhänge zu, und das Letzte, was sie von ihr sahen, war ein blasses, grimmiges Gesicht und das Funkeln der Morgensonne auf ihren Ringen.
»Bete, Tani!«, rief Ahmose hinter ihr her. »Bete jeden Tag zu Amun um unsere Erlösung!« Die Übrigen schwiegen. Die Hufe der Tiere und die Füße der Marschierenden wirbelten bereits Staub auf, sodass Aahotep sich den Umhang vor die Nase halten musste. In dieser Wolke verschwand Tani.
Tetischeri gab einen kleinen Laut von sich, halb Aufstöhnen, halb Schrei, dann wandte sie sich zur Hinterpforte. Die anderen folgten. Kamose sah Dudu über den Exerzierplatz kommen und drehte sich schnell um. Heute nicht, schwor er sich innerlich, als er sah, wie Ahmose den Arm um Aahmes-nofretaris Schulter legte. Heute trauern wir. »Uni«, sagte er, als ihm der Haushofmeister entgegenkam. »Halte den General bis morgen vom Haus fern.« Dann ging er großen Schrittes auf das leere, hallende Gebäude zu.
Die Familienmitglieder blieben den ganzen Tag in ihren Zimmern, während die Dienerschaft fegte, das Haus schrubbte und von den Überbleibseln des königlichen Besuches säuberte. Kamose lag auf seinem Lager, hatte die Hände unter den Kopf gelegt, lauschte auf die Geschäftigkeit ringsum und dachte besorgt an die vier kommenden Monate. Aufgeben kam nicht in Frage, doch wo sollte er mehr Männer, Pferde, Streitwagen, Waffen und Nahrung auftreiben?
Mittags kam Achtoi mit einem leichten Mahl, doch Kamose brachte keinen Bissen hinunter. Er überlegte, wo Tani wohl sein mochte, wo die Karawane zum Mittagsmahl angehalten hatte, was Apophis wohl dachte. Ich werde General Dudu umbringen, sagte er sich, und die Botschaften nach Norden fälschen müssen. Dabei möchte ich ihn gar nicht töten. Er tut schließlich nur seine Pflicht. Aber ich kann ihn nicht am Leben lassen, denn er findet gewiss einen Weg, dem König mitzuteilen, was ich vorhabe. Eine Botschaft lasse ich durch. Ich muss herausbekommen, wie er sie siegelt, wie er Apophis anredet.
Doch Kamoses Gedanken beschäftigten sich nicht lange mit General Dudu. Erschöpft kreisten sie wieder einmal um das Problem frische Truppen und Gold, mit dem er sie ausrüsten könnte, doch unterschwellig verspürte er nach der langen Anspannung Erleichterung. Apophis war fort. Der Lärm und die Stimmen im Haus waren vertraut. In vier Monaten konnte man viel bewegen. Kamose schlief.
Er hatte lange nicht von der Frau geträumt, die ihn immer öfter auch in seinen wachen Stunden heimsuchte, doch in den heißen, langsam verrinnenden Nachmittagsstunden, während sich sein Kopf im Unterbewusstsein noch mit möglichen Truppenzahlen, dem bitteren Verlust Tanis und den Anschuldigungen seiner Großmutter befasste, ging er auf einmal auf dem Weg, der von Waset am Amun-Tempel vorbei zu seiner Bootstreppe führte, hinter ihr her. Es war Sommer. Der Fluss neben ihm strömte gemächlich und zielstrebig, und die Sonne brannte auf seinen unbedeckten Kopf, doch er nahm seine Umgebung kaum wahr, denn da schritt sie vielleicht zehn Schritte vor ihm und war fast beim Tempelpylonen angekommen. Ihre langen Beine bewegten sich geschmeidig und sicher über den staubigen, steinigen Untergrund. Die Äste über ihr warfen Schatten.
Sie trug nur einen kurzen, groben Leinenschurz, der ihr um die Schenkel flatterte, ging barfuß, und ihre Fersen waren staubig-grau. Schweißtropfen glitzerten auf ihrem Rückgrat, und ihre aufrechten Schultern waren unter einer Mähne schwarzer, schwingender Haare nicht zu sehen. Kamose verspürte Lust und Sehnsucht, und er schrie im Traum auf, doch er hütete sich, sie einzuholen. Falls er loslief, würde sie einfach rascher ausschreiten, und der Traum war noch schneller zu Ende. Er wollte diesen herrlichen Schmerz genüsslich in die Länge ziehen und schlich auf leisen Sohlen hinter ihr her. Jetzt schluckte sie der Schatten des Pylonen.
Auf einmal verlangsamte sie den Schritt und warf einen Blick zum Tempel, und darauf war Kamose nicht gefasst gewesen und verpasste daher den Blick auf ihr Profil. Innerlich fluchend wollte er weitergehen, doch das ging nicht. Sie war auch stehen geblieben, wartete ungezwungen mit vorgestelltem braunem, ölglänzendem Bein.
Kamose stockte der Atem, denn jetzt tauchte zwischen den mächtigen emporragenden Steinen des Pylonen eine hoch gewachsene Gestalt auf. Kamoses Aufmerksamkeit richtete sich auf zwei Dinge. Die Gestalt trug
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