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Der fremde Pharao

Der fremde Pharao

Titel: Der fremde Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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eine Girlande aus frischen Winterblumen um den Hals, Lotos, Aguacate, Tamarisken und alle betaut und bebend, obwohl es Hochsommer war. Dazu trug sie eine Krone aus Rotgold, dem kostbarsten und seltensten Metall überhaupt, die von zwei weißen, sacht zitternden Federn bekrönt war.
    Kamose hatte plötzlich Angst. Mit angehaltenem Atem, entsetzt und dennoch erwartungsvoll, ob sich die Gestalt vielleicht umdrehen und ihn mit gütigem, forschendem Blick durchbohren würde, stand er still da, war wie gebannt von den sich geschmeidig und locker bewegenden vollendeten Muskeln dieses königlichen Leibes, der auf die Frau zuschritt. Wird sie sich umdrehen und verneigen?, überlegte Kamose. Bekomme ich ihr Gesicht zu sehen? Der Gott blieb stehen. Die Frau neigte den Kopf, eine ehrerbietige und dennoch stolze Geste, und streckte die Arme aus. Erst jetzt fiel Kamose auf, dass der Gott Bogen und Dolch in den hennaroten Händen hielt, Kamoses eigenen Bogen, den er zur Verteidigung Seqenenres gespannt hatte, und seinen Dolch mit dem goldenen Griff, der bereits Setiu-Blut vergossen hatte.
    Die Frau nahm beides, warf sich den Bogen über die Schulter und ging weiter. Erleichtert stolperte Kamose hinter ihr her, doch als er dann beim Tempelpylon ankam, war der Gott gegangen. Verzaubert warf Kamose einen Blick auf den Vorhof und meinte das Flattern eines Schurzes aus Goldstoff und eine goldbeschuhte Ferse zu erblicken, die zwischen den Pfeilern verschwanden, die zum Innenhof führten, doch er hatte keine Zeit, ihnen zu folgen. Die Frau hielt seinen Dolch, auf dem die Sonne funkelte, in der rechten Hand und schritt zielstrebig aus. Sie waren fast bei der Bootstreppe angelangt. Linker Hand tauchte das Ende des Laubengangs auf, an dessen Reben noch ein paar verschrumpelte Blätter hingen.
    Die Frau blieb stehen. Ihr linker Arm hob sich in Richtung Fluss, und hingerissen bemerkte Kamose, dass auf ihren Oberarmen die silbernen Armbänder eines Heerführers glänzten. Er folgte ihrer Bewegung. Der Fluss wimmelte von Schiffen aller Arten – Heroldsboote, Jagdboote, kleine Fischerboote, Barken glitten allesamt leer in der Strömung vorbei. Die Frau wollte sich jetzt umdrehen, und Kamose bekam weiche Knie. Er spürte, wie er einknickte, keine Luft mehr bekam und auf sie zufiel. Und dann saß er schweißüberströmt auf seinem Lager, die Beine in dem feuchten Laken verfangen. Er keuchte. Es klopfte an der Tür und Achtois Stimme rief höflich: »Fürst, General Dudu möchte dich so schnell wie möglich sehen. Er hat schon den ganzen Nachmittag gewartet.« Kamose hätte die Tür am liebsten zu Bruch geschlagen. Falls Achtoi nicht geklopft und ihn aufgeweckt hätte, vielleicht hätte er ihr Gesicht gesehen. Ihr Gesicht!
    »Richte dem General aus, dass ich in einer Stunde in meinem Arbeitszimmer bin«, sagte er mühsam mit belegter Stimme. »Hol mir Trinkwasser, Achtoi, und einen Badediener.«
    »Ja, Fürst.«
    Kamose zog sich die Laken von den Beinen, verließ das Lager und stand schwankend mitten im Zimmer. Er war wie betäubt, sein Körper klebte und roch, sein Gehirn war berauscht. Es klopfte schon wieder und er sagte »Herein«, wobei ihm seine Zunge nur widerstrebend gehorchte. Sein Leibdiener kam unter Verbeugungen mit einem irdenen Krug und Becher ins Zimmer. Das Wasser im Krug war kühl. Es war gerade aus dem großen Krug geschöpft worden, der immer im Flur stand und durch die Zugluft im Haus gekühlt wurde. Kamose merkte es daran, dass der Krug beschlagen war. Er starrte ihn blicklos an.
    »Wasser, Fürst«, sagte der Diener. »Soll ich dir einschenken?« Er ging zu dem niedrigen Tisch und stellte den Krug ab. Kamose sah zu, wie die durchsichtige Flüssigkeit herausgeplätschert kam, und auf einmal war das die wichtigste Sache auf der ganzen Welt. Er spannte sich an, flehte innerlich, der Diener möge sich einen Augenblick lang nicht bewegen, kein Vogel möge rufen, kein Laut die Eingebung stören, die ihm gerade kommen wollte. Wasser. Wasser. Sein Bogen, sein Dolch. Der Fluss. Schiffe, viele Schiffe und eine Bewegung so anmutig und aufreizend wie die einer Tänzerin. Der Fluss und die Schiffe. Schiffe, Schiffe …
    Er fing an zu zittern. Natürlich! Schiffe! »Amun!«, sagte er laut, doch es war nur ein Krächzen. »Du hast mir eine Tür geöffnet. Wer ist sie, die sich kaum vor dir verneigt? Hathor? Deine Gemahlin Isis? Eine Seite Sechmets? Sie, die sich meinen Bogen, meinen Dolch nimmt … Schiffe!«
    »Fürst«, fragte der Diener.

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