Der fremde Pharao
Kamose drehte sich lächelnd zu ihm um.
»Ich schenke mir selbst ein«, sagte er. »Du kannst gehen.« Der Mann warf ihm einen bedenklichen Blick zu und entfernte sich. Kamose ging zum Tisch, hob den Krug hoch und wollte sich einschenken, doch seine Hände zitterten so heftig, dass Wasser auf den Fußboden schwappte.
Eine Stunde später saß er gebadet, in frisches, gestärktes Leinen gekleidet, einen goldenen Reif um die Stirn in seinem Arbeitszimmer und nahm die knappe Verbeugung des Generals entgegen. Er hatte noch immer das Gefühl, dass er irgendwie neben sich stand. Seine Augen waren verquollen, seine Hände geschwollen von mehr als nur Schlaf, doch er war glücklich und empfing Dudu mit einem flüchtigen Lächeln. »Warum möchtest du mich sehen?«, fragte er. Dudu sah verdutzt aus, dann verlegen.
»Fürst, es gehört zu meiner leidigen Pflicht, darauf zu bestehen, dass du dich in den kommenden vier Monaten tagtäglich mit mir hinsichtlich jeder Entscheidung berätst, die deine Familie und die Nomarchen betrifft. Alles muss dem Einzig-Einen mitgeteilt werden.«
»Eine leidige Pflicht, weiß Gott«, entgegnete Kamose trocken. »Heute treffe ich keine Entscheidungen, Dudu.« Der Mann verbeugte sich knapp. »Das mag sein, Fürst, aber ich habe auch die Pflicht, dich überallhin zu begleiten. Leider muss ich dein Schatten sein.« Kamose verspürte ein gewisses Mitgefühl mit ihm.
»Soll ich dir ein Feldbett neben meinem Lager aufstellen lassen?«, fragte er spöttisch-arglos. Dudu seufzte gekränkt.
»Nein, Fürst, das dürfte nicht nötig sein«, erwiderte er steif. »Einer meiner Soldaten wird deine Nächte und deinen Nachmittagsschlaf bewachen. Was deine Soldaten angeht, so habe ich sie aus der Kaserne freigelassen und jedem einen Mann aus meinem Gefolge zugeordnet. Einer von dir, einer von mir. Es wäre nicht praktisch gewesen, sie vier Monate lang einzusperren.« Kamose konnte nicht umhin, diese Strategie zu bewundern.
»Nein, wirklich nicht«, bestätigte er. »Überhaupt nicht praktisch. Dudu, ich gehe jetzt zum Tempel. Wenn du willst, kannst du mich begleiten.«
»Jetzt?«, rutschte es Dudu heraus. Dudu war ein ehrlicher Mensch, und Kamose konnte ihm die Gedanken an der Nasenspitze ansehen, ehe es Dudu gelang, seine Miene zu beherrschen. Er durfte nicht mit ins Allerheiligste. Dort wurden vielleicht Botschaften an den Hohen Priester weitergegeben, und Dudu konnte nichts dagegen unternehmen, außer an jedem Ausgang Wachen aufzustellen und jeden zu befragen, der hindurch wollte. Was für Narrenpossen! Und wer ging um diese Tageszeit überhaupt beten?
»Jetzt«, sagte Kamose und stand auf. »Wir im Süden sind fromme Menschen«, fuhr er fort. »Wir verehren Amun regelmäßig, aber auch Osiris, Hapi und Ptah. Hoffentlich, General, hast du kräftige Beine, denn du wirst jetzt regelmäßig lange Zeit auf dem Vorhof stehen müssen.« Dudu verbeugte sich, ohne zu antworten, und Kamose ging an ihm vorbei und rief nach seiner Leibwache.
Er hätte seine Sänfte nehmen können, aber er wollte laufen, nicht um seinen Beschatter zu ärgern, sondern weil er diesen Weg noch vor so kurzer Zeit gegangen war. Der Traum stand ihm lebhaft vor Augen, als er im dunklen grünen Schatten der neuen Blätter ging, in denen nistende Vögel ihr Wesen trieben. Der Fluss ging hoch und rauschte trübe vorbei. Die Sonne brannte heiß, aber nicht unangenehm. Kamose hätte gern gesungen. Seine Wache, ein Soldat seiner Leibwache zusammen mit einem Setiu-Krieger, stapfte stur vor ihm dahin. Dudu folgte drei Schritt hinter ihm, und seine eigene Wache bildete die Nachhut. Eine Frau aus Waset, die an einer Hand einen kleinen Jungen und in der anderen die Leine eines Esels hatte, trat zur Seite, als Kamose vorbeiging. Sie verbeugte sich mit einem Lächeln und Kamose grüßte.
Beim Pylonen überfiel ihn ein kurzes, ehrfürchtiges Zögern, denn er erinnerte sich an Amuns stattliche Erscheinung hier. Er sagte den Soldaten, sie sollten es sich im Schatten des mächtigen steinernen Bauwerks bequem machen. Er und Dudu betraten den Vorhof. Kamose hielt einen jungen Priester an, der in Richtung Lagerräume vorbeieilte, die längs der Tempelmauer aufgereiht waren. »Wo ist der Hohe Priester? Such ihn und schick ihn ins Allerheiligste. Ich möchte beten.« Der junge Mann verbeugte sich, nickte und lief weiter. Mit einer herrischen Geste gebot Kamose dem General zu warten. Dudu wagte es nicht, ihm zu folgen, als Kamose durch das Tor den Innenhof
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