Der fremde Pharao
Pferde weideten auf dem spärlichen, trockenen Gras neben den Kasernen, in denen die Leibwache der Familie untergebracht war. »Was soll ich mit den Männern anfangen?«, fragte Hor-Aha Kamose, als sie endlich müde, dreckig und entmutigt Seqenenres Arbeitszimmer zustrebten. »Soll ich sie nach Haus entlassen?«
»Nein«, beharrte Kamose. »Noch nicht. Wir haben sie nun viele Wochen lang auf eigene Kosten verpflegt, und das werden wir auch weiterhin tun. Ich habe viel zu bedenken, Hor-Aha, und bis ich mich entschieden habe, kannst du sie mit Scheinangriffen und Ähnlichem beschäftigen. Wenigstens haben wir jetzt Zeit, noch mehr Bogen herzustellen.« Hor-Aha wagte ein lahmes Grinsen, wurde aber schnell wieder ernst.
»Der Fürst liegt im Sterben, nicht wahr?«, sagte er und wandte Kamose das dunkle Gesicht zu. »Und was machst du, wenn er stirbt?« Kamose wusste, was die Frage des Generals bedeutete. Seine Antwort fiel heftig aus.
»Mein Vater wird nicht sterben. Unser Arzt ist sehr gut. Der Hohe Priester höchstpersönlich spricht den Genesungszauber. Das Lager ist von mächtigen Amuletten umgeben.«
»Aber wenn er doch stirbt?«, drängte Hor-Aha. Kamose ging weiter, sah jedoch den hoch gewachsenen Medjai nicht an.
»Dann wird jemand dafür zahlen«, versprach er grimmig.
Si-Amun hatte Seqenenre in völlig aufgelöstem Zustand verlassen und lief keuchend durch das Haus, als er Raa traf. »Mit Verlaub, Prinz«, sagte die Frau, »deine Gemahlin liegt in den Wehen, und sie ist in großer Not. Kannst du kommen?« Si-Amun war zwar betäubt und durcheinander, doch er zögerte keinen Augenblick. Ohne Raa zu antworten, bog er zu den Frauengemächern ab. Man hatte eine Wehmutter aus Waset angefordert, doch die war noch nicht da.
Aahmes-nofretari schritt neben ihrem Lager auf und ab, hielt sich mit beiden Händen den Leib und weinte. Ein Priester der Familie zündete in einem langen Halter Weihrauch an. Kares, Aahmes-nofretaris Haushofmeister, wartete gleich vor der Tür auf Anweisungen. Als sich Si-Amuns Atem verlangsamt hatte, ging er zu der jungen Frau und küsste sie. »Tut es sehr weh?«, fragte er, und sie wandte ihm das tränenüberströmte Gesicht zu.
»Nein, noch nicht«, schluchzte sie. »Es ist wegen Vater, wie er ausgesehen hat, als die Träger ihn heruntergebracht haben, so grau, und dann das schreckliche Loch in seinem Kopf. Halt mich fest, Si-Amun!« Er legte die Arme um sie, und sie barg das Gesicht an seinem Hals. »Er wird sterben«, sagte sie erstickt und mit gedämpfter Stimme. »Mein Kind wird unter einem schrecklichen Unstern geboren! Ich habe solche Angst!« Er tröstete sie, so gut er konnte, während der Priester hinter ihnen zu singen begann und der süßliche Duft des heiligen Rauches sie allmählich einhüllte. Der duftende Nebel beruhigte Aahmes-nofretari. »Ich habe gebetet und Taurt jeden Tag Gaben gebracht«, sagte sie jetzt mit kräftigerer Stimme. »Gewiss wird sie mich jetzt nicht verlassen. Si-Amun, danke, dass du gekommen bist. Bitte geh jetzt und schicke mir Mutter. Ist die Amme noch nicht da?« Ihre Stimme war lauter, schriller geworden. Er nahm ihr Gesicht in seine braunen Hände, küsste sie auf die nassen Augen und den bebenden Mund und redete ihr Mut zu. Doch seine eigene Stimme klang auch nicht gerade fest.
»Kares, hole diese dumme Amme«, befahl er. »Und die Übrigen hören auf zu gaffen und machen sich nützlich. Musik würde sie beruhigen und vielleicht ein, zwei Brettspiele.« Das war in scharfem Ton gesagt, denn er wusste, dass das Unbehagen im Raum von dem Drama herrührte, das sich in einem anderen Teil des Hauses abspielte, und er wollte nicht, dass dessen Auswirkungen seine Frau in Angst und Schrecken versetzten. Die Diener gehorchten hastig und er ging.
Im Haus konnte er nicht bleiben. Zu dem Schreck und Zorn über den Angriff auf seinen Vater kam noch die Sorge um seine Frau, und am Ende nahm er ein Boot und einen Leibwächter und ließ sich in die Binsensümpfe staken. Hier warf er eine Angelrute aus und legte sich im Boot zurück, die Augen auf die sich sacht wiegenden Papyruswedel über seinem Kopf gerichtet. Er war jetzt zwanzig und Aahmes-nofretari vier Jahre jünger. Gemäß der uralten Sitte, dass der Thronerbe, um das Blut rein zu halten, eine durch und durch königliche Prinzessin heiraten musste, in der Regel die eigene Schwester, waren sie seit Kindesbeinen verlobt gewesen. Er und Aahmes-nofretari hatten immer gewusst, dass sie heiraten würden,
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