Der fremde Pharao
reifer geworden war. Tani wurde allmählich zu einer starken, selbstlosen Frau.
Während der Monate Paophi und Athyr stieg der Fluss weiter an, trat über die Ufer, überflutete das ausgedörrte Land, weichte es auf, strömte in kühlen Rinnsalen in die Risse, lockerte und belebte den toten Boden. Kleine Lachen auf den Ackern vereinten sich, wurden zu Seen, in denen sich der blaue Himmel und die aufgereihten Palmen spiegelten, deren im Wasser versunkene Wurzeln neues Leben aufsogen. Die Luft wurde klar, die Brise schnitt nicht mehr wie das feurige Messer Res, und Choiak war der Monat, in dem man stundenlang auf dem Dach saß und die stille, beschauliche Weite der überfluteten Felder betrachtete.
Während der Fluss im Tybi langsam zurückging, nahm Seqenenres Kraft zu. Der Arzt erlaubte, dass man ihn in den Garten trug und ihn auf eine Pritsche unter den Bäumen bettete, wo er liegen und den Ästen zusehen konnte, wie sie sich, dicht besetzt mit Knospen, vor dem Himmel bewegten. Der Geruch nach feuchter Erde vermischte sich mit dem Duft der gerade erblühten Lotosblumen auf dem Teich und der Schösslinge auf den Gemüsebeeten. Ahmose kam auf den Einfall, Behek zu ihm zu bringen, und während Seqenenre am Teich ruhte, lag der Hund neben ihm, legte die Schnauze auf die Pfoten oder an die Hand des Fürsten und zuckte mit der Nase.
Binnen kurzem konnte sich Seqenenre, an viele Kissen gelehnt, aufsetzen. Tani schüttete ihm Blumen in den Schoß und tanzte für ihn die Schritte, die sie gerade lernte, damit sie in ein paar Monaten als Amun-Priesterin Dienst tun konnte. Doch Seqenenre wurde ruhelos. Als er endlich mit der Hand einen Schreibpinsel festhalten konnte, krakelte er, während Aahotep den Tonscherben hielt, »Kamose, Hor-Aha«. Aahotep rief: »Oh, noch nicht, Seqenenre! Ich glaube nicht, dass du dafür schon kräftig genug bist. Warte noch ein paar Tage.« Er knurrte, sein Zeichen dafür, dass er ungeduldig war.
»Jetzt«, sagte er. Aahotep verdrehte die Augen. »Na schön. Uni, hol Kamose und General Hor-Aha. Und du brauchst gar nicht so zu wedeln, Seqenenre, ich gehe schon ins Haus.« Sie küsste ihn rasch und ging wiegenden Schrittes zu dem schattigen Vorbau.
Seqenenre sah ihr nach, bis sie der Schatten verschluckte. Er hörte, wie sie jemanden scharf ansprach, hörte ihre Sandalen in dem dahinter liegenden Raum aufplatschen. Im Garten zwitscherten die Vögel wie wild, und unweit hing eine Biene über einer weißen, wächsernen Blume. Behek schnaufte und rannte im Traum, und Seqenenre hätte ihn gern geweckt, stellte sich vor, wie er sich bückte, ihm den rauen Bauch streichelte und zu ihm sagte: »Komm, Behek! Das sind nur die Dämonen der Alpträume!«, doch er konnte sich nicht bewegen.
Heute tat ihm der Kopf weh. Er tat ihm an den meisten Tagen weh, ein dumpfes Pochen. Zuweilen juckte er, doch der Arzt hatte ihn ermahnt, die Wunde nicht anzufassen, auch nicht durch das Leinen, das jeden Tag gewechselt wurde. Er hatte keinerlei Erinnerung an den Hieb, keine Erinnerung daran, dass er in den alten Palast gegangen war, und nicht einmal eine Erinnerung an die Dinge, die er vor dem Tag des Überfalls gesagt oder getan hatte. Vielleicht war dieses Vergessen eine Gnade. Sein Leben vor dem Hieb und sein Leben jetzt waren zwei völlig verschiedene Dinge. Er wusste nicht, warum er nicht oben auf dem Dach der Frauengemächer gestorben war. Er glaubte nicht, dass es Amun gewesen war, der ihn verschont hatte. Das war Seth gewesen, der grausame, wölfische Seth, der Gott der List und Rache hatte eingegriffen, damit er, Seqenenre, auch ja für seine Gotteslästerung bestraft wurde.
Nein. Seqenenre beugte sich vor, denn sein linkes Bein war von der Pritsche gerutscht, und er musste es wieder hochheben. Auch Seth würde nie zulassen, dass einem Ägypter etwas so Schreckliches zustieß, es sei denn, dieser hätte ihn absichtlich zutiefst gekränkt. Gewiss empörte sich alles in diesem stolzen Gott gegen die allmähliche Verschmelzung mit dem Setiu Sutech. Nein, dachte Seqenenre. Amun hat mich verschont, damit ich beende, was ich begonnen habe. Man erzählt mir, dass man meinen Angreifer nicht finden kann. Das überrascht mich nicht. Apophis’ Arm ist länger, als ich gedacht habe, und er hat zugeschlagen und sich zurückgezogen. Ich bin gewarnt, und wenn ich jetzt Ruhe gebe, meine Wunden lecke und mich gut führe, passiert auch nichts mehr. Muss ich mir eingestehen, dass ich gescheitert bin und nicht nur gescheitert,
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