Der fremde Pharao
Frauengemächern kam, die rituellen Trauergeräusche. Raa weinte.
»Der Kleine ist tot!«, sagte sie. »Der Sem-Priester hat ihn gerade mitgenommen. Prinz Si-Amun hat ihn gehalten. Tani schreit …« Aahotep hob die Hand, und die Frau schwieg. Arme Aahmes-nofretari, dachte Aahotep. Ach, meine arme Tochter. Und du mein armer Seqenenre, dein Enkelsohn wurde geboren und ist gestorben, während du in den Gefilden der Dunkelheit herumgewandert bist. Gab es da einen Zusammenhang? Sie erschauerte.
»Ich gehe zu Tani, und dann gehen wir beide zu Aahmes-nofretari«, sagte sie. »Halte die Frauen von diesem Raum fern, Raa. Der Fürst darf nicht gestört werden.« Sie wird andere Kinder bekommen, dachte Aahotep, während sie zu Tanis Gemächern ging, aber keins wird in ihrem Herzen die Stelle des kleinen Si-Amun einnehmen können. Es wird nicht das Gleiche sein.
Man hielt die vollen siebzig Tage Trauerzeit für den kleinen Jungen ein, und als er dann zum Westufer gebracht und in dem Grabmal bestattet wurde, das Si-Amun dort für sich selbst bauen ließ, konnte sich Seqenenre bereits aufsetzen und Nahrung zu sich nehmen, und er versuchte sich mit denen, die um ihn waren, zu unterhalten. Die Kopfwunde klaffte noch immer, und Aahotep hatte befohlen, ihm einen weißen Leinenschal um den Kopf zu wickeln, damit sie nicht zu sehen war. Es machte ihr große Sorgen, dass der Fürst weder den linken Arm heben noch das linke Bein bewegen konnte, doch sie verbarg ihr Entsetzen vor ihm, so gut es ging. Wenn er ein Bedürfnis hatte, so knurrte er und versuchte, es mit der rechten Hand zu beschreiben, und Aahotep verließ sich dann mehr auf den Ausdruck in seinen dunklen Augen als auf die wedelnden Finger und wurde seine Dolmetscherin. Er war noch nicht kräftig genug, dass er einen Schreibpinsel hätte halten können. Oftmals war es eine Qual für sie, in diese Augen zu blicken, die Hilflosigkeit zu sehen, das Flehen, den Zorn und die ständige Enttäuschung, dass man ihn nicht verstand.
Einmal hatte sie voller Freude, weil sie meinte, dass er um Blumen gebeten hatte, einen Zweig Aguacate-Blüten holen lassen, doch er hatte den Zweig ergriffen und ihn durchs Zimmer geschleudert, sodass sie, der Fußboden und das Lager mit rosa Blütenblättern übersät waren. Sie war aufgestanden und hatte ihn säubern wollen, und er hatte sie auf den Arm geschlagen und ihn dann gepackt. Sein rechtes Auge und das halb geschlossene linke funkelten vor Wut über sie, doch als er ihren entsetzten Blick sah, verflüchtigte sich die Wut, und er begann lautlos zu weinen. Seine Hand stahl sich auf ihre Schulter, zog sie auf seine Brust, und da war auch sie zusammengebrochen und hatte mit dem Gesicht in den Aguacate-Blüten geweint.
Endlich erlaubte sie auch ihren Kindern, ihn zu sehen. Kamose hatte ihm einen Kuss gegeben und nichts gesagt, sondern nur dagestanden und ihn ausdruckslos angeblickt. Ahmose hatte Witze gerissen und die ganze Zeit gelächelt. Aahotep wusste, dass Seqenenre gemerkt hatte, wie schlank Aahmes-nofretari wieder war und dass sie Blau trug, die Trauerfarbe. Sie verwünschte sich für ihre Sorglosigkeit, doch Seqenenre brachte für seine Tochter ein langsames, mühsames Nicken zustande, und da wusste Aahotep, dass er die Nachricht gelassen aufgenommen hatte. Er winkte Aahmes-nofretari heran, legte eine Hand auf ihren Leib, zupfte an ihrem blauen Hemdkleid und zeigte dann auf seine eigene, züchtig unter dem weißen Schal verborgene Wunde. Wir leiden beide, wollte er damit sagen. Und so trauerten sie gemeinsam um alles, was ihnen zugestoßen war.
Tani erstaunte ihre Mutter. Sie ging von nun an jeden Morgen zu ihrem Vater, wenn es ihm am besten ging, stellte einen Schemel neben sein Lager und plauderte über die kleinen Ereignisse, die ihr Leben ausmachten. Ted und Ramose hatten Genesungswünsche geschickt, Ramose hatte ihr seine Liebe beteuert und dass er sie besuchen würde, sowie der Fluss wieder in seinem Bett floss und die Bootsleute den Strom hochfahren konnten. Die Nilpferde freuten sich an dem tieferen Wasser, und eines von ihnen hatte tatsächlich geworfen. Tani beschrieb das Junge so begeistert und lebhaft, dass sie ihrem Vater ein verzerrtes Lächeln abringen konnte. Sie las ihm auch aus den Rollen vor, die sie aus der kleinen Bibliothek ausborgte, erzählte ihm aufs Neue die Geschichten, die er als Kind gehört und geliebt hatte und die er ihr hatte vorlesen müssen, als sie noch klein war. Aahotep merkte, dass das Mädchen
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