Der fremde Pharao
beargwöhnen.« Er schenkte seinem Bruder ein Lächeln, und Seqenenre, der unter ihnen lag, sah, wie Si-Amun versuchte, auf Kamoses Geste der Hoffnung zu reagieren. Ein kleines Weilchen verhielten sie sich ruhig, und ihre vollkommen gleichen Profile zeichneten sich vor den sacht flatternden Blättern der Sykomore und dem dunkelblau leuchtenden Himmel dahinter ab wie zwei Figuren aus einem Gemälde an einer Palastwand. Dann sagte Si-Amun schroff: »Vaters Mörder ist noch nicht gefasst. Wir wissen nicht, wer diese Untat begangen hat, aber wir sind gewarnt, und wenn wir die Warnung auf die leichte Schulter nehmen, versucht er es vielleicht noch einmal. Ich für mein Teil möchte Vaters Blut nicht auf meinem Gewissen haben!« Das kam so heftig heraus, dass Seqenenre staunte und die unguten nächtlichen Gefühle zurückkehrten.
»Aber Vater trifft die Entscheidungen, nicht wir«, wehrte sich Kamose. »Wir wären ohnedies nicht für seinen Tod verantwortlich, weil er hier bleibt und du oder ich in der Schlacht befehligen, Si-Amun. Angenommen, Apophis hat uns gewarnt, was ändert das schon? Er ist entschlossen, uns zu vernichten, ob wir nun Krieg machen oder nicht.«
Si-Amun antwortete hitzig, und dann fingen die beiden an, sich über Seqenenres Kopf hinweg zu streiten, den Hals vorgereckt, sodass sie sich mit dem Kinn fast berührten, und mit geballten Fäusten. Kamoses Stimme blieb beherrscht, doch Si-Amuns wurde rasch schrill. Hor-Aha stand mit hochgezogenen Brauen, die kräftigen Arme verschränkt, und sein Wollumhang fiel locker herunter. Seqenenre wartete, dann langte er nach oben und versetzte einem nach dem anderen eine klatschende Ohrfeige. Kamose trat einen Schritt zurück.
»Entschuldigung, Vater«, sagte er. »Wir haben vergessen, wo wir uns befinden. Sind wir entlassen?«
Einen flüchtigen Augenblick verübelte Seqenenre Kamose seine Förmlichkeit. Er bedeutete ihnen, sich zu entfernen.
Jetzt hatte er den Garten für sich allein. Er wusste, dass binnen kurzem jemand kommen würde, Tani vielleicht, sich zu seinen Füßen auf die schmale Pritsche hocken und sich mit ihm unterhalten würde, als plauderte sie mit einer Freundin, oder Aahotep, gefolgt von Isis oder Mersu, oder vielleicht Tetischeri. Ahmose würde am Spätnachmittag mit der Angelrute oder dem Wurfstock auf dem Fluss sein und würde seinem Vater stolzgeschwellt seine Beute zeigen. Ich werde allmählich zum Hausgott, dachte Seqenenre spöttisch. Sie kommen und schenken mir ihre Worte, ihre Gedanken, aber wir kreisen nicht mehr umeinander. Bald kann ich wieder stehen, aber wenn ich durchs Haus gehe, löse ich einen Wirbel und Jubel aus wie eine Gottheit auf Reisen. Ich hätte ihnen sagen sollen, dass ich in diesem Sommer mit dem Heer ziehen will. Ich kann sie nicht in die Schlacht und möglicherweise in den Tod schicken, während ich wie ein lahmendes Pferd über das Anwesen humpele. Ich darf nicht länger vom Horusthron träumen, von Macht und Ansehen für mich selbst und wie ich Ägypten mit starker Hand vereine, aber ich kann diese Qualen ehrenhaft beenden und darum beten, dass Si-Amun die Doppelkrone trägt.
Er fühlte sich müde und unwohl und bedeutete einem Diener, dass er hingelegt werden wollte, und als er sich gerade auf die Seite drehte, sah er Aahmes-nofretari aus dem Dämmer des Vorbaus treten und rasch auf sich zukommen. »Oh, ich merke, du bist müde«, sagte die junge Frau, ließ sich neben ihm nieder und ergriff seine nutzlose Hand. Ihr helles Leinen bauschte sich im Gras um sie, und ihre dicken Kupferarmreife klirrten. Seqenenre ließ sich küssen und dachte dabei: Unter der blauen Augenschminke und dem hennaroten Mund sieht sie abgespannt aus. »Du musst nicht mit mir reden«, sagte sie. »Ich habe Si-Amun und Kamose bis in den Empfangssaal brüllen hören, wo Mutter und ich Lotoskränze gemacht haben. Wie rücksichtslos von ihnen, dich so zu ermüden.« Seqenenre spürte, dass sein linkes Augenlid zuckte wie gewöhnlich, wenn er sich zu viel vorgenommen hatte. Er drückte einen Finger darauf, und das Zucken hörte auf. Er drehte die rechte Hand mit der Handfläche nach oben, und Aahmes-nofretari nickte. »Ich wollte dir nur sagen, dass ich wieder schwanger bin. Du sollst es als Erster wissen. Ich habe es noch nicht einmal Si-Amun erzählt.« Sie schwieg. »Hoffentlich freut er sich darüber. Dieser Tage ist ihm kaum etwas recht.«
Seqenenre empfand Freude, vermischt mit Sorge. Er wusste, dass sie noch immer um den Kleinen
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