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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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frostigem Sarkasmus. »Man hat uns einen Besuch abgestattet. Ich bin sicher, Sie hätten einen tollen Ehrengast abgegeben.«
    »Man?«
    Der Offizier erteilte dem Arbeitstrupp ein paar barsche Befehle und fuhr dann fort. »Die Kultanhänger. Es gab einen Aufruhr, jedenfalls beinahe. Kurz nach Anbruch der Dämmerung hat ein Holzlaster einen alten Mann hier abgesetzt, der das Gewand eines Priesters trug. Er hat sich einfach wortlos hingehockt. Wir haben ihn an seiner Gebetskette herumfummeln lassen. Dann kam ein Bauer auf einem Fahrrad vorbei und hielt an. Spätestens da hätten wir die beiden von der Straße jagen sollen. Aber Oberst Tan hat gesagt, er wolle keinen Ärger und keine Zwischenfalle. Ein Besuch aus Peking stehe kurz bevor, und irgendwelche Amerikaner kämen auch bald hier vorbei. Wir sollten uns ruhig verhalten.« Der Offizier öffnete die Fahrertür und bedachte Feng mit einem wütenden Blick, als trüge der Sergeant irgendeine Mitschuld an dem Vorfall.
    Er gab das Signal, das Tor zu öffnen, und wandte sich wieder an Shan. »Eine Stunde später waren es schon sechs. Dann zehn. Mittags ungefähr vierzig. Der Mann in dem Gewand war für die Leute wohl irgendwas Besonderes, schätze ich.« Shan nahm die Stoffetzen genauer in Augenschein. Es handelte sich nicht um die Überreste von Kleidungsstücken, weil jemand in den Draht geworfen worden war, sondern um Gebetsfahnen, die man am Zaun festgeknotet hatte.
    »Also bin ich nach draußen gegangen, um zu vermitteln und über das sozialistische Gebot der Koexistenz zu diskutieren. Ihr müßt Platz machen, habe ich gesagt. Bald kommt eine Armeekolonne mit schwerem Gerät hier an. Jemand könnte verletzt werden. Aber die Leute haben gesagt, sie wollten, daß Ihr Mann Sungpo freigelassen wird. Angeblich sei er gar kein Verbrecher.« Der Augen des Offiziers funkelten wütend. »Das war ein großes Geheimnis. Eigentlich dürfte niemand wissen, daß Ihr Mönch hier eingesperrt ist. Mir ist keiner hier bekannt, der geredet hätte«, sagte er mit anklagendem Unterton.
    »Nachdem ich wieder gegangen war, ist die Menge vorgerückt, hat eine Litanei angestimmt und begonnen, den Zaun hin- und herzuschaukeln. Die Pfosten haben sich gelockert. Also habe ich ein Überfallkommando geschickt, allerdings ohne Schußwaffen. Doch die Tibeter haben sich umgedreht und die Hände zu einer Art menschlicher Kette aneinandergefesselt. Mit Socken, Schnürsenkeln, was auch immer. Sie haben uns ignoriert, uns einfach den Rücken zugewandt und vor sich hingebetet. Was sollten wir machen? Bald kommen Touristen hierher. Falls irgendein Rundauge auftaucht und uns dabei fotografiert, wie wir diese Kerle verprügeln, darf ich den Rekruten nachts beim Leeren der Latrine helfen.«
    »Der alte Mann«, sagte Shan. »Ist er aus dem Norden gekommen?«
    »Ja, richtig. Uralt und klapprig, als würde er jeden Moment zu Staub zerfallen.«
    Shan war plötzlich ganz aufgeregt. »Wo ist er jetzt?«
    »Wir haben ihn vor einer Stunde schließlich reingelassen. Es war die einzige Möglichkeit, die Leute loszuwerden. Wann, zum Teufel, werden Sie... «
    Shan wartete nicht ab, bis der Offizier die wütende Frage beendet hatte. Er lief durch das Tor zum Arrestlokal.
    Das einzige Licht dort drinnen brannte am Ende des Ganges. Jigme saß an der Zellentür und behielt Sungpo im Auge, genau wie Shan ihn vor drei Tagen verlassen hatte. Neben ihm saß Je Rinpoche.
    Der alte Mann achtete nicht auf Shan. Er sah Sungpo an, der in der Mitte der Zelle saß. Sie redeten nicht, aber ihre Blicke schienen auf denselben unsichtbaren Punkt in der Ferne gerichtet zu sein.
    Als Shan die Zellentür öffnete, hielt Yeshe ihn am Arm zurück. »Sie dürfen nicht einschreiten. Wir müssen warten, bis sie von selbst zurückkommen.«
    »Nein«, widersprach Shan. »Es ist zu spät, um nicht einzuschreiten.« Er betrat die Zelle und berührte Sungpo an der Schulter. Dabei schien eine Art Elektrizität seine Finger zu durchzucken, aber ohne den entsprechenden Schock. Er redete sich ein, es müsse sich um Einbildung gehandelt haben. Sungpo bewegte den Kopf hin und her, als würde er einen tiefen Schlaf abschütteln. Dann blickte er auf und begrüßte Shan mit einem kaum merklichen Blinzeln.
    Je Rinpoche atmete tief aus, und sein Kopf sackte ihm langsam auf die Brust. Yeshe starrte Shan mit ungewohntem Zorn an.
    »Versteht denn niemand, was hier gerade vor sich geht?« fragte Shan mit mühsam unterdrückter Erregung. Er erhielt keine

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