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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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den Exerzierplatz liefen. Die Kriecher zerrten Jigme vom Gefängnis weg, wogegen er sich nach Kräften sträubte. Shan drehte sich zu Yeshe um. »Ich brauche Ihre Hilfe. Mehr als jemals zuvor.«
    Als Shan die Gruppe erreichte, hatte man Jigme in etwa hundert Metern Entfernung von Sungpos Zelle abgesetzt.
    »Nur ein Besucher darf bei dem Gefangenen bleiben«, brüllte einer der Kriecher und ging weg.
    »Von hier aus können Sie nicht allzuviel für ihn tun«, stellte Shan fest und setzte sich neben Jigme.
    »Falls er essen würde, könnte ich ihm die Mahlzeiten zubereiten.« »Es gibt vielleicht noch andere Möglichkeiten«, sagte Shan. »Je nachdem, wem Sie helfen wollen.«
    »Sungpo.«
    »Sungpo dem Heiligen? Oder Sungpo dem Sterblichen?«
    Jigme dachte eine Weile nach, bevor er antwortete. »Manchmal ist das gar nicht so einfach zu sagen. Ich würde meinen, es ist ein und dasselbe.«
    »Sie und ich, wir haben beide chinesisches Blut in den Adern. Es heißt, wir seien alle damit gestraft, ständig Kompromisse schließen zu müssen. Vielleicht würde es Jahre dauern, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Aber in ein paar Tagen spielt es ohnehin keine Rolle mehr.«
    Sie saßen schweigend da. Jigme fing an, mit dem Finger beiläufig ein Muster in den Staub zu malen.
    »Ich möchte, daß Sie folgendes tun«, sagte Shan. »Gehen Sie in die Berge, zu den Drachenklauen. Wir können Ihnen Wasser und Vorräte mitgeben, und im Wagen sind auch ein paar Decken. Sergeant Feng kann Sie hinfahren und wird dann jeden Tag bei Ihnen vorbeischauen. Aber sobald Sie einmal draußen sind, weiß ich nicht, ob die Wachen Sie wieder durch das Tor lassen werden.«
    Jigme dachte lange nach. »Es heißt, da oben sei ein Dämon unterwegs.«
    Shan nickte mitfühlend. »Ich möchte, daß Sie herausfinden, wo dieser Dämon wohnt.«
    Jigme zuckte nicht zusammen, aber sämtliche Farbe wich aus seinem Gesicht.
    »Er wird Ihnen nichts tun.«
    »Aus welchem Grund sollte er mich verschonen?« fragte Jigme jammervoll.
    »Weil Sie zu den wenigen gehören, die reinen Herzens sind.«
    Dr. Sung blieb nicht stehen, als Shan eintraf. »Verschwinden Sie«, sagte sie. »Sie verbreiten Gefahr, wo immer Sie auftauchen.« Er folgte ihr, während sie den Korridor der Klinik entlangeilte.
    »Was ist der Bei Da-Verband?« fragte er und mußte beinahe laufen, um mit ihr Schritt halten zu können.
    »Bei Da ist die Universität. Ein Verband ist ein Verband«, erwiderte sie lakonisch.
    »Gehören Sie auch diesem Verband an?«
    »Ich bin eine Ärztin im Dienst der Volksregierung. Die einzige Ärztin hier, falls Ihnen das noch nicht aufgefallen sein sollte. Ich habe viel Arbeit zu erledigen.«
    »Wer war es, Doktor?«
    Sie blieb stehen und sah ihn verwundert an.
    »Wer hat Sie eingeschüchtert?«
    Sie wurde rot. Zuerst dachte Shan, es geschähe aus Wut, aber dann kam er zu dem Schluß, daß es genausogut Scham sein konnte. »Es heißt, es handle sich um einen Klub für Absolventen der Pekinger Universität«, sagte sie. »Natürlich gibt es in ganz Lhadrung nur eine Handvoll dieser Absolventen. Man hat mich bei einer Gelegenheit zu einem Treffen eingeladen, zu einem Abendessen in einem alten Kloster außerhalb der Stadt. Ich dachte, man würde mich vielleicht fragen, ob ich dem Klub beitreten wollte.«
    »Aber man hat Sie nicht gefragt.«
    »Abgesehen von Peking, habe ich mit diesen Leuten nur wenig gemeinsam.«
    »Um wen handelt es sich?« Ein Pfleger wischte den Boden, ein Tibeter. Er schob den Putzeimer in ihre Richtung. Shan forderte die Ärztin durch einen Wink auf, ihm außer Hörweite zu folgen.
    »Die aufstrebenden Karrieremacher. Die junge Elite. Sie wissen schon. Heimlich importierte Bluejeans. Sonnenbrillen, die mehr kosten als das Monatseinkommen einer normalen Familie.«
    »Mögen Sie Bluejeans und Sonnenbrillen nicht?«
    Die Frage schien Dr. Sung zu überraschen. Sie schaute den Korridor hinunter, bevor sie antwortete. »Ich weiß nicht. Aber ich kann mich noch erinnern, daß solche Statussymbole früher durchaus eine Rolle für mich gespielt haben.«
    »Was ist mit Ankläger Jao? Hat er dazugehört?« fragte Shan.
    »Nein, Jao war zwar Absolvent, aber zu alt, schätze ich. Li ist Mitglied. Wen vom Büro für Religiöse Angelegenheiten. Der Direktor der Minen. Ein paar Soldaten.«
    »Soldaten? Ein Major der Öffentlichen Sicherheit?«
    Die Erwähnung des Büros schien Sung zu beunruhigen. Sie dachte kurz nach. »Keine Ahnung. Da war einer. Er war aalglatt

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