Der fremde Tibeter
Peking gelebt habe. Er hat mir oft geholfen.« Shan sprach zu ihrem Rücken. »Einmal habe ich in einem ähnlichen Dilemma gesteckt. Ich wußte nicht, ob ich nach Gerechtigkeit streben oder einfach nur das tun sollte, was die Bürokraten verlangt haben. Wissen Sie, was er gesagt hat? Er sagte, unser Leben sei das Instrument, das wir benutzen, um mit der Wahrheit zu experimentieren.«
Fowler blieb stehen und drehte sich langsam zu ihm um.
Schweigend sah sie ihn an und riß sich dann los, um sich aus einer Thermoskanne eine Tasse lauwarmen Tee einzugießen. Sie setzte sich hin und starrte die Tasse an. »Verdammt sollen Sie sein«, sagte sie. »Wer, zum Teufel, sind Sie? Jedesmal, sobald sich alles wieder ein wenig beruhigt hat, kommen Sie und...« Sie beendete den Satz nicht.
»Wir wollen beide dasselbe. Eine Antwort.«
Sie stand auf, schüttete den Tee in die Spüle und ging in den Computerraum, wo sie einen großen Schrank aifschloß, der lange schmale Schubladen enthielt. Sie suchte kurz im obersten Schubfach und legte dann ein Blatt auf den Tisch. »Wir drucken die Karten nur einmal pro Woche aus, manchmal auch nur zweimal im Monat. Diese hier ist zwei Wochen alt. Rastergröße zwanzig Meilen. Die ist für unsere Zwecke am besten geeignet. Wir haben außerdem noch hundert Meilen und fünf Meilen.«
»Ich benötige mehr Einzelheiten. Also das Fünf-Meilen- Raster, wenn es geht.«
Sie durchsuchte das Schubfach und blickte verwirrt auf. Dann zog sie eine andere Lade heraus. »Sie ist nicht da. Keine der Karten für die Südklaue.« Sie starrte in die leere Schublade.
»Aber Sie können weitere Ausdrucke anfertigen«, schlug Shan vor.
»Kincaid wäre fuchsteufelswild. Die Ausdrucke werden aus seinem Budget bezahlt, denn er ist für das Kartensystem verantwortlich.«
»Sie haben gesagt, Sie wollen, daß diese Sache endlich vorbei ist.«
»Momentan wäre ich schon ganz zufrieden damit, einfach nur zu erfahren, was vorbei eigentlich bedeutet«, sagte Fowler, trat dann an das Terminal und tippte einige Befehle ein. Fünf Minuten später erwachte der Drucker zum Leben.
Als sie das Foto auf den Tisch legte, reichte sie Shan eine Lupe dazu. Er folgte der Kammlinie bis zum unteren Ende der Karte. An dieser Stelle, an der das kleine südlich gelegene Tal begann, befand sich ein V-förmiger schwarzer Fleck. »Werden die Bilder alle zur gleichen Tageszeit aufgenommen?« fragte er. Am Rand stand eine Zeitangabe. 16.30 Uhr. »Könnten wir ein Bild vom selben Tag bekommen, nur früher? Mittags zum Beispiel.«
Sie druckte ein Foto aus, das zwei Monate zuvor um halb zwölf vormittags gemacht worden war. Der Schatten am südlichen Ende des Kamms war verschwunden. Er konnte in der abgelegenen Schlucht einen leuchtenden Farbklecks sehen, wo vorher keiner gewesen war. Yerpas große Pferdefahnen waren vom Satelliten aus zu sehen.
»An jenem Abend mit Jao«, sagte Rebecca Fowler auf einmal. Sie hatte ihn von der anderen Seite des Tisches aus beobachtet. »Da war noch etwas. Ich habe Ihnen nichts davon erzählt. Das Treffen hat nicht nur wegen der Wette stattgefunden, sonst hätten wir es auch auf später verschieben können. Ich glaube, er wollte sich mit mir treffen, um mir einige Fragen zu stellen. Und er hat an jenem Abend nachdrücklich auf Antworten gedrungen.«
»Er hat Ihnen Fragen gestellt?«
»Wir haben darüber gesprochen. Kincaid und ich. Wir hatten nicht vor, etwas zu verheimlichen. Aber angesichts all unserer Probleme mit der Produktion wollten wir nicht auch noch Teil irgendwelcher Ermittlungen werden.«
»Aber später haben Sie Ihre Meinung geändert.«
»Als die Anordnung der Teiche geplant wurde, vor meiner Ankunft, hat die Mine ihre Wassergenehmigung erhalten, das heißt das Recht, soviel Wasser wie nötig für die Teiche und die Veredelungsanlage zu entnehmen. Man muß sich registrieren lassen, damit die Bewässerung des Tals geplant werden kann. Als ich hier eintraf, habe ich einen Fehler bemerkt. Die Erlaubnis beinhaltete auch einen Fluß, der gar nicht hier entlangfließt. Er liegt auf der anderen Seite des Berges, am hinteren Ende der Nordklaue und noch weiter darüber hinaus, in einem ganz anderen Einzugsgebiet. Ich habe Direktor Hu Bescheid gegeben. Er hat gesagt, er würde sich darum kümmern, und wir müßten für dieses Wasser nichts bezahlen. Bezahlt haben wir auch nichts. Aber die Genehmigung wurde nie geändert.«
»Was bedeutet es, eine Erlaubnis für diesen anderen Fluß zu
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