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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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und wie winzige Kiefernzapfen geschnitzt waren, mit Anzeigerperlen aus Lapislazuli. Traurig starrte Shan ihn an, schrieb sich dann die Inventarnummer auf und ging weiter.
    Plötzlich erreichte er die Ausstellung mit Kostümen der Schutzdämonen. Da war Yama, der Herr der Toten, Yamantaka, der Bezwinger des Todes, Mahakala, der Oberste Beschützer des Glaubens, Lhamo, die Schutzgöttin von Lhasa. Und im letzten Schaukasten Tamdin der Pferdeköpfige.
    Das herrliche Kostüm war da, sein Gesicht eine grausame gewölbte Maske aus rotlackiertem Holz mit vier Fangzähnen im Maul. Um den Hals hing eine Kette aus Schädeln, über dem goldenen Haar erhob sich ein kleiner, wilder grüner Pferdekopf. Shan erschauderte bei dem Anblick, und seine Hand schloß sich um das gau, das um seinen Hals hing und in dem sich jetzt der Zauberspruch zur Beschwörung Tamdins befand. Die Arme des Dämons lagen neben der Maske und endeten in zwei grotesk proportionierten Klauen, die mit der zerschmetterten Hand übereinstimmten, welche man bei der amerikanischen Mine gefunden hatte.
    Die Bestätigung, daß es sich tatsächlich um die Hand Tamdins handelte, war nur ein schwacher Trost, denn das Kostüm im Museum war vollständig und zudem in Lhasa, nicht in Lhadrung. Es gab demnach ein zweites Kostüm, aber falls es nicht zum Museum gehörte, verfügte Shan über keine Möglichkeit, es zurückzuverfolgen und mit Jaos Mördern in Verbindung zu bringen.
    Nachdenklich musterte er die Ausstellungsstücke und wartete, bis der Raum sich geleert hatte. Dann öffnete er eine Tür. Ein Schrank mit Putzmitteln. Er wollte die Tür schon wieder schließen, besann sich dann aber eines anderen und nahm den Besen und einen Eimer heraus. Langsam bewegte er sich durch das Gebäude, fegte den Boden und achtete dabei auf die Innentüren. Plötzlich sah er eine neue Gestalt, und sein Magen zog sich zusammen; es war ein Chinese mit stechendem Blick, der sich ziemlich vergeblich darum bemühte, den Eindruck zu erwecken, er würde sich für die Exponate interessieren. Der Mann sah sich im Raum um, ohne von Shan Notiz zu nehmen. Dann schnaubte er ungeduldig und ging mit militärisch gerader Haltung in den angrenzenden Flur. Shan blieb im Schatten und beobachtete zu seinem Entsetzen, daß der Mann sich mit zwei anderen beriet, einer jungen Frau und einem Mann, die wie Touristen gekleidet waren. Die drei machten sich hastig auf den Weg, und Shan verschwand hinter der ersten Tür, die nicht abgeschlossen war.
    Er befand sich in einem kurzen Korridor, der zu einem Großraumbüro führte, das in zahlreiche Arbeitskabinen unterteilt war. Die meisten der Tische waren nicht besetzt, und auf einer Bank im Gang lag ein weißer Technikerkittel. Shan ließ Besen und Eimer zurück und zog den Kittel an. Vom ersten der Tische nahm er ein Klemmbrett und einen Bleistift mit.
    »Ich habe mich ein wenig verlaufen«, sagte er zu der Frau am ersten besetzten Tisch. »Das Inventar.«
    »Inventar?«
    »Exponate. Eingelagerte Artefakte.«
    »Die sind normalerweise identisch«, erwiderte sie in überheblichem Tonfall.
    »Identisch?«
    »Sie wissen schon. Zwei Exemplare von jedem Stück, eins davon in der Ausstellung, das andere im Lager. Im Keller. Der Direktor nennt es Parallelsammlung. Dadurch wird es einfacher, die Stücke zu reinigen und zu untersuchen. Eins oben, eins unten, einsortiert nach ihren Inventarnummern.«
    »Natürlich«, entgegnete Shan mit neuerlicher Hoffnung. »Ich habe die Bestandskartei gemeint, die über den Standort der Artefakte Aufschluß gibt.«
    »In den großen Ordnern, auf dem Tisch in der Bibliothek.«
    In der kleinen Bibliothek am Ende des Korridors fand er eine dicke schwarze Akte, deren Kunststoffbeschichtung an den Kanten bereits bis auf die Pappe abgenutzt war. Er hatte den Abschnitt Kostüme schon gefunden, als eine ältere Frau an der Tür auftauchte.
    »Was haben Sie denn hier verloren?« rief sie.
    Shan zuckte zusammen und lehnte sich dann auf dem Stuhl zurück, bevor er sie ansah. »Ich komme aus Peking.«
    Diese Behauptung verschaffte ihm weitere dreißig Sekunden. Er suchte weiter, während die Frau in der Türöffnung verharrte. Zeremonieller Kopfschmuck. Kostüme der Dämonentänzer.
    »Wieso hat mich niemand davon unterrichtet?« fragte die Frau mißtrauisch.
    »Genossin, Sie werden doch sicher verstehen, daß Buchprüfungen nicht annähernd effektiv verlaufen, wenn man sie vorher ankündigt«, sagte Shan schroff.
    Als sie Shans Kleidung bemerkte,

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