Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
Vom Netzwerk:
parkten am Rand eines flachen Straßenstücks entlang des Lhasa-Flusses, wo normalerweise die Lastwagenfahrer ihre nächtlichen Schlafpausen einlegten. Jansen hielt hinter einem klapprigen Jiefang-Laster, aus dem sogleich vier junge Männer ausstiegen und Shan zu den Amerikanern brachten. Shan drehte sich um, weil er Jansen danken wollte, doch der Finne nickte nur flüchtig und machte sich eilig auf den Rückweg.
    Der Jiefang setzte sich vor die Amerikaner, und der Fahrer bedeutete Kincaid, er möge ihm folgen.
    Fowler saß vorn und schwieg. Zuerst dachte Shan, sie würde schlafen, aber dann sah er ihre Hände. Sie hielt die Straßenkarte so fest umklammert, daß die Knöchel weiß hervortraten.
    »Das ist wie freier Fall«, sagte Kincaid. Er klang unerwartet beschwingt. »Dreißig Meter pro Sekunde. Das Herz schlägt dir bis zum Hals. Die Welt fliegt an dir vorbei.« Er drehte sich kurz zu Shan um. »Das sind sie, nicht wahr?« fragte er mit breitem Grinsen.
    »Wer?«
    »Da in dem Lastwagen. Das sind sie doch, oder? Es müssen echte purbas sein.«
    »Es tut mir leid.« Shan betastete seine Stirn. Das Blut war inzwischen geronnen.
    »Was tut Ihnen leid? Dieser Tag? Mann, dieser ganze Tag war wie eine einzige Schußfahrt den Berg hinunter. Man springt einfach über die Kante und läßt es geschehen.«
    »Ich habe nie beabsichtigt, daß Sie in Gefahr geraten«, sagte Shan. »Sie hätten einfach zurückfahren sollen.«
    »Ach, Unsinn. Schließlich sind wir alle lebend da rausgekommen, oder nicht? Kein Problem. Ich hätte nicht um alles in der Welt darauf verzichten wollen. Wir haben sie ganz schön an der Nase herumgeführt, die BDKs. Und Sie haben mich auf die Suche nach etwas geschickt, das gar nicht da ist. Perfekt. Eine gute Ablenkung.« Er ließ wieder sein donnerndes Cowboygeheul erschallen.
    »Verdammt, Tyler«, sagte Fowler. »Bring uns hier weg. Es ist noch nicht vorbei, solange wir unterwegs sind.«
    »Was meinen Sie mit >etwas, das gar nicht da ist    »Im Landwirtschaftsministerium. Das Büro für Bewässerungsfragen ist im Zuge einer Neuordnung verlegt worden. Vor fünf Monaten hat man alle Akten nach Peking geschafft.«
    Die Suche nach etwas, das gar nicht da war. Shan hatte die Karte aus dem Lager vergessen. Er zog sie langsam aus der Tasche, als würde sie zerbrechen, wenn er sich zu schnell bewegte.
    Tamdin, stand dort geschrieben. Saskya gompa. Doch da stand noch etwas. Leihgabe, mit einem Datum, das vierzehn Monate zurücklag und dem Datum der Entdeckung entsprach. Leihgabe an die Stadt Lhadrung. Da war ein hastig hingekritzelter und verschmierter Name. Aber der Stempel daneben war klar und deutlich. Das persönliche Siegel von Jao Xengding. Darunter stand »Bestätigt«, gefolgt von einem letzten Ideogramm, dem umgekehrten, doppelt durchkreuzten Y, das er auch auf einem der Zettel aus Jaos Jackett gesehen hatte. Es bedeutete Himmel.
    Fünfunddreißig Kilometer hinter dem Flughafen blieb der Jiefang-Laster in einer scharfen Kurve stehen. Kincaid hielt ebenfalls an. Ein Mann stieg aus dem Laster, lief zum Fahrzeug der Amerikaner, flüsterte aufgeregt mit Kincaid und wies dabei auf eine Abzweigung, die ein Stück vor dem Lastwagen lag. Der Jiefang wendete, und als er an ihnen vorbeikam, sprang der purba auf.
    Kincaid schaltete den Allradantrieb zu und bog auf die Seitenstraße ein. »Die Kriecher haben auf allen Straßen, die aus Lhasa herausführen, in gleichmäßigen Abständen Straßensperren errichtet. Sie kochen vor Wut. Am Kontrollpunkt zum Bezirk Lhadrung wartet vermutlich ein spezielles Empfangskomitee. Also müssen wir einen Umweg machen.«
    Verwegen brauste er über die holprige Strecke auf die untergehende Sonne zu und bremste dann scharf, als in der Ferne die flackernden Lichter des Tals von Lhadrung in Sicht kamen. »Wissen Sie, wir könnten umkehren«, sagte er zu Shan und warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu.
    »Wohin?«
    »Nach Lhasa. An den Straßensperren werden nur die Fahrzeuge kontrolliert, die die Region verlassen wollen, nicht die in umgekehrter Richtung. Wir könnten es schaffen. Sie sind zu wertvoll, um wieder ins Gefängnis zu gehen, wenn all das vorbei ist. Sie wissen so viel. Ich kann Ihnen helfen.«
    »Wie denn?« Shan merkte, daß die khata des Amerikaners noch immer um seinen Hals hing.
    »Ich spreche mit Jansen. Wir werden ihn schon beruhigen. Verdammt, er wird selbst ganz scharf darauf sein, Ihnen wochenlang Löcher in den Bauch zu fragen. Er kennt

Weitere Kostenlose Bücher