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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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vollführte eine Reihe schneller Kurven. Dann hielt der Wagen plötzlich an. Die hinteren Türen wurden aufgerissen, und vier Hände griffen nach ihm. Halb trugen, halb zerrten sie ihn auf die Rückbank eines anderen Wagens, der sofort losfuhr.
    Langsam, fast wie im Traum, wischte Shan sich das Blut aus den Augen und zog sich hoch. Es war ein großer Wagen, eine ältere amerikanische Limousine. Der Fahrer trug eine Wollmütze. Als sie auf die breite Durchgangsstraße einbogen, die aus der Stadt führte, streckte der Mann ihm einen kleinen Schlüssel über die Schulter nach hinten. Während Shan die Handschellen aufschloß, nahm der Mann die Mütze ab, so daß sein dichter blonder Schopf sichtbar wurde.
    »Ich wußte gar nicht...«, setzte Shan an, der vor Verwirrung wie gelähmt war. Er zog die Hemdschöße heraus, um sich damit das Gesicht abzuwischen. »Danke«, sagte er auf englisch. »Sind Sie Jansen?«
    Der Mann schüttelte den Kopf und murmelte etwas in einer skandinavischen Sprache vor sich hin, während er langsam dem Verkehrsstrom folgte und sorgfältig darauf achtete, kein Aufsehen zu erregen. »Keine Namen«, erwiderte er, ebenfalls auf englisch. »Bitte. Keine Namen.« Shan bemerkte, daß neben ihm auf dem Boden die Tasche lag, die Shan nach Lhasa mitgebracht hatte. Der Schädel aus dem Höhlenschrein.
    »Wie konnten Sie Bescheid wissen?« fragte Shan fünf Minuten später.
    Jansen hatte bedrückt geschwiegen. »Ich bringe Sie bloß irgendwo zur Bundesstraße. Ihre Freunde werden dort warten, haben sie gesagt.«
    »Warum?«
    »Warum?« Jansen hieb wütend auf das Lenkrad. »Glauben Sie, ich wäre dieses Risiko eingegangen, wenn ich vorher Bescheid gewußt hätte? Mit mehr Kriechern in der Gegend als Fliegen auf einem Haufen Scheiße? Niemand hat etwas von den Kriechern gesagt. Man hat mich bloß gebeten, dort zu sein, das ist alles. Um dem Gentleman zu helfen, der all die Informationen aus Lhadrung gebracht hat.« Er schüttelte den Kopf. »So etwas ist noch nie passiert. Hilf uns bei den Unterlagen, kein Problem. Nimm einen alten Mann aus Shigatse im Wagen mit, kein Problem. Aber das hier...« Er riß eine Hand hoch.
    »Die purbas«, erkannte Shan. Irgendwie hatten die purbas all dies bewirkt. Der kleine Mann, den er auf der Straße bemerkt hatte, war nicht allein gewesen. Es hatte sich um einen purba gehandelt, begriff Shan jetzt. »Aber wie konnten die davon Wind bekommen?«
    »So wie sonst auch. Vermutlich durch Telepathie.«
    Die Kriecher hatten irgendwie davon gewußt. Die purbas hatten irgendwie davon gewußt. Jeder schien hier über alles mögliche Bescheid zu wissen. Außer ihm selbst.
    »Durch Telepathie«, wiederholte Shan mit hohler Stimme. Er schaute aus dem Fenster, um noch einen flüchtigen Blick auf den Potala zu erhaschen, der in der Ferne hinter ihnen verschwand. Die Klippe des Daseins.
    »Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist die Ausweisung«, murmelte Jansen vor sich hin.
    Shan streckte sich auf der Rückbank aus. Er fand ein Papiertuch und hielt es sich an die Stirn. »Jemand hat ein Hindernis auf die Fahrbahn geschoben«, sagte Shan, als würde er laut nachdenken. Er schaute Jansen plötzlich an. »Ein Bauernkarren, glaube ich. Die Kriecher sind ausgestiegen, um den Weg freizuräumen.«
    »Man hat mir gesagt, Sie würden eine Mitfahrgelegenheit benötigen. Ich sollte in meinem Wagen warten. Okay, habe ich gedacht. Eine Mitfahrgelegenheit. Ich könnte Sie nach dem Schädelschrein fragen. Plötzlich rennt einer von denen an mir vorbei und wirft mir einen Schlüssel zu. Für Sie, sagt er. Dann kommt dieser Transporter der Öffentlichen Sicherheit angerast, und man wirft Sie in mein Auto. Wer sind Sie? Warum sind alle hinter Ihnen her?«
    »Für mich, hat er gesagt. Hat er meinen Namen benutzt?«
    »Nein. Nicht direkt. Er hat gesagt, für den Pilger.«
    »Den Pilger?«
    »Das ist der Name, den die purbas Ihnen gegeben haben. Tans Pilger.«
    Nein, war Shan versucht zu erwidern. Ein Pilger bewegt sich auf die Erleuchtung zu. Vor mir liegen nur Dunkelheit und Verwirrung. Doch plötzlich flackerte ein winziges Licht vor ihm auf. »Haben Sie nicht eben gesagt, Sie hätten einen alten Mann aus Shigatse mitgenommen? Nach Lhadrung?«
    Jansen nickte zerstreut. Er schaute nervös in den Rückspiegel. »Seine Frau war kurz zuvor gestorben. Er hat mir einige der alten Klagelieder vorgesungen.«
    Rebecca Fowler und Tyler Kincaid warteten knapp fünfundzwanzig Kilometer außerhalb der Stadt. Sie

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