Der fremde Tibeter
Leute, die Sie außer Landes schaffen können.«
»Aber Oberst Tan. Und falls Direktor Hu...«, protestierte Fowler.
»Verflucht, Rebecca, die wissen doch gar nicht, daß Shan bei uns ist. Er verschwindet einfach. Ich könnte diese Tätowierung beseitigen. Ich habe schon mal gesehen, wie so etwas gemacht wird. Sie könnten ein freier Mann sein, Shan.«
Ein freier Mann. Die Worte kamen Shan blaß und leer vor. Die Amerikaner schienen stets ganz vernarrt in dieses Konzept zu sein, aber Shan hatte es noch nie begreifen können. Vielleicht lag das daran, überlegte er, daß er noch nie einen freien Mann kennengelernt hatte. Seine Hand legte sich auf die khata und zog sie vom Hals. »Das ist sehr nett von Ihnen. Aber ich werde in Lhadrung gebraucht. Könnten Sie mich bitte einfach zum Lager Jadefrühling zurückbringen?«
Kincaid sah den Schal in Shans Hand und schüttelte enttäuscht den Kopf. »Behalten Sie ihn«, sagte er bewundernd und schob die khata zurück. »Wenn Sie nach Lhadrung zurückkehren, werden Sie ihn brauchen.«
Kapitel 17
Oberst Tan schien die Nachrichten von Miss Lihua und Madame Ko gleichzeitig zu lesen. Seine Augen sprangen zwischen dem Blatt in seiner Hand und dem Zettel auf seinem Tisch hin und her. In dem Fax aus Hongkong teilte Miss Lihua ihnen mit, daß sie sich dringend um einen Rückflug bemühe, in der Zwischenzeit jedoch schon vorab bestätigen wolle, daß Ankläger Jaos persönliches Siegel in der Tat letztes Jahr verschwunden sei. Man habe niemanden wegen des Diebstahls verhaftet, obwohl genau diese Art von kleinerem Sabotageakt typisch für Mönche und andere kulturelle Unruhestifter gewesen sei. Man habe ein neues Siegel anfertigen lassen und lediglich Jaos Bank verständigt.
Madame Kos Notiz besagte, daß sie Erkundigungen beim Landwirtschaftsministerium in Peking eingezogen habe. Es sei ihr gelungen, einen Mann namens Deng ausfindig zu machen, der für die Verwaltung der Wasserrechte zuständig sei. Deng wußte, wer Ankläger Jao war; sie hätten in der Woche vor Jaos Tod miteinander telefoniert, erklärte Madame Ko. Außerdem sei Deng mit dem Ankläger während Jaos Zwischenstop in Peking verabredet gewesen, und zwar in einem Restaurant namens Bambusbrücke.
»Also hat einer der Mönche Jaos Siegel gestohlen und sich das Kostüm verschafft. Vielleicht Sungpo, vielleicht auch einer der vier anderen«, behauptete Tan.
»Wieso sein persönliches Siegel?« fragte Shan. »Falls ich all diese Mühe auf mich nehmen würde, um Verwirrung in der Regierung zu säen, weshalb sollte ich dann nicht lieber sein offizielles Siegel stehlen?«
»Zufall. Ein Mönch hat eine Gelegenheit gewittert und ist ins Büro eingebrochen. Vielleicht stand eine Tür oder ein Fenster offen, und das erste, was er gefunden hat, war das persönliche Siegel. Er hat Angst bekommen und ist abgehauen. Miss Lihua sagt, es war ein Mönch.«
»Das glaube ich kaum. Aber darum geht es auch gar nicht.« Shan ertappte sich dabei, wie er aus dem Fenster auf die Straße starrte und halb damit rechnete, einen Lastwagen voller Kriecher eintreffen zu sehen, die ihn verhaften wollten. Doch dort stand nur der leere Wagen des Offiziers, mit dem er in die Stadt gefahren war. Die Kriecher in Lhasa hatten gewußt, wer er war. Doch jetzt kamen sie nicht, um ihn zu holen. Wie hatten ihre Befehle gelautet? Sollten sie ihn einfach nur aus Lhasa vertreiben? Oder wollte man ihn eliminieren, falls es nur irgendwie gelang, ihn außerhalb von Tans Reichweite in die Finger zu bekommen?
»Was meinst du damit?«
Shan drehte sich wieder zu Tan um. »Wichtig daran ist, daß der Direktor für Religiöse Angelegenheiten in diesem Punkt gelogen hat. Er hat uns erzählt, die Kostüme befänden sich alle an ihrem Platz. Er hat behauptet, er hätte es überprüft.«
»Vielleicht hat ihn jemand aus dem Museum mit falschen Informationen versorgt«, schlug Tan vor.
»Nein. Madame Ko hat heute morgen nachgefragt. Niemand hat je wegen der Kostüme im Museum angerufen.«
»Aber Jao hätte niemals angeordnet, daß das Kostüm von Lhasa zurück nach Lhadrung geschickt werden soll. Es hätte gar keinen Grund dafür gegeben«, sagte Tan vorsichtig.
»Haben Sie je davon gehört, sein Siegel sei gestohlen worden? Es müßte einen Ankläger doch sehr beunruhigen, wenn er sein Siegel verliert. Und der Militärkommandant sollte eigentlich davon unterrichtet werden.«
»Es war doch nur sein persönliches Siegel.«
»Ich glaube, daß jemand hier in Lhadrung
Weitere Kostenlose Bücher