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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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den Vorratsunterlagen. Es gab Schwierigkeiten mit den Computern.«
    »Die verschwundenen Vorräte, von denen Sie erzählt haben?«
    Yeshe nickte.
    Shan dachte weiter über die Notizen nach und schaute geistesabwesend auf »Was für Vorräte?«
    »Ein Lastwagen mit Kleidung. Ein weiterer mit Nahrungsmitteln. Etwas Baumaterial. Vermutlich stimmen bloß die Listen nicht. Irgend jemand hat zu viele Wagen gezählt, als sie im Depot von Lhasa losgefahren sind.«
    Shan hielt inne und fügte seinem Block eine weitere Notiz hinzu.
    »Aber das hat doch nichts hiermit zu tun«, wandte Yeshe ein.
    »Sind Sie sicher?« fragte Shan. »Den Großteil meiner Arbeit in Peking habe ich mit Korruptionsfällen zugebracht. Wenn die Armee darin verwickelt war, habe ich immer zuerst bei der zentralen Nachschubverwaltung angefragt, denn deren Auskünfte waren stets verläßlich. Wenn dort Lastwagen, Raketen oder Bohnen gezählt wurden, war nicht nur ein Mann damit betraut. Man schickte gleich zehn, und jeder zählte dieselben Lieferungen ab.«
    Yeshe zuckte die Achseln. »Heutzutage benutzen sie Computer. Ich bin wegen meines nächsten Auftrags hergekommen.«
    Shan musterte Yeshe. Der Tibeter war nicht viel älter als sein eigener Sohn, und ebenso wie sein Sohn war auch er so klug und wurde so nutzlos verschwendet. »Wir müssen Jaos Aktivitäten rekonstruieren. Zumindest die letzten paar Stunden.«
    »Mit seiner Familie sprechen, meinen Sie?«
    »Er hatte keine Familie. Nein, wir müssen in der Stadt das mongolische Restaurant aufsuchen, in dem er an jenem Abend gegessen hat. Sein Haus. Sein Büro, falls man uns läßt.«
    Yeshe hatte inzwischen einen eigenen Notizblock. Er schrieb fieberhaft mit, was Shan sagte, machte dann kehrt wie ein Soldat beim Exerzieren und verließ den Raum.
    Shan arbeitete noch eine Stunde, las die Namenslisten, schrieb Fragen und mögliche Antworten in seinen Block, von denen jede unpräziser als die letzte wirkte. Wo befand sich Jaos Wagen? Wer hatte ein Interesse am Tod des Anklägers? Warum, überlegte er schaudernd, schien Choje so überzeugt davon zu sein, daß der Dämon wirklich existierte? Wieso hatte der Ankläger des Bezirks Lhadrung wie ein Tourist gewirkt? Weil er eine Reise antreten wollte? Nein. Weil er amerikanische Dollars und eine amerikanische Firmenkarte in der Tasche hatte. Wie wütend mußte dieser Mörder sein, um das Opfer sorgfältig so weit wegzulocken, nur um es dann zu enthaupten? Das konnte keine Affekthandlung gewesen sein. Oder doch? Könnte ein normales Treffen im Streit geendet haben? Jao wurde niedergeschlagen, und in Panik nahm sein Gegner eine Schaufel, um den Ankläger mit einem einzigen gräßlichen Akt zu töten? Um dann den Kopf fast zehn Kilometer weit zu dem Schädelschrein zu schleppen? Bekleidet mit einem Kostüm? Nein, das war keine blinde Wut, sondern die Tat eines Fanatikers, der sich für seine Sache ereiferte. Aber was für eine Sache? Politik? Oder eher Leidenschaft? Oder war es ein Akt der Huldigung gewesen, Ankläger Jao an solch einem heiligen Ort abzulegen? Shan warf den Bleistift auf den Tisch und ging zur Tür. »Ich muß zurück zu meiner Hütte«, sagte er zu Sergeant Feng.
    »Kommt nicht in Frage«, erwiderte Feng.
    »Demnach werden Sie und ich, Sergeant, die Nacht hier verbringen?«
    »Niemand hat etwas gesagt. Wir gehen nicht vor morgen ins Lager Jadefrühling.«
    »Niemand hat etwas gesagt, weil ich ein Häftling bin, der in seiner Hütte schläft, und Sie ein Wachposten sind, der in seiner Unterkunft schläft.«
    Feng verlagerte sein Gewicht unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. Sein rundes Gesicht schien sich zusammenzuziehen, und er blickte zu der Fensterreihe am anderen Ende des Gangs, als würde er hoffen, einen zufällig vorbeikommenden Offizier um Rat fragen zu können.
    »Ich kann hier auf dem Boden schlafen«, sagte Shan. »Aber was ist mit Ihnen? Wollen Sie die ganze Nacht wach bleiben? Dafür bräuchten Sie einen besonderen Befehl. Ohne Befehle bleibt die übliche Routine bestehen.«
    Shan holte einen der momos hervor, die er eingesteckt hatte, und streckte ihn Feng entgegen.
    »Du kannst mich nicht mit Essen bestechen«, grunzte der Sergeant und musterte den momo mit offensichtlichem Interesse.
    »Das ist keine Bestechung. Wir sind doch ein Team. Ich möchte, daß Sie morgen guter Dinge sind. Wir werden in die Berge fahren.«
    Feng nahm den Kloß und fing an, ihn mit kleinen, vorsichtigen Bissen zu verzehren.
    Draußen lag eine

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