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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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machen, dem Ankläger des Bezirks Lhadrung.«

Kapitel 4
    Das Licht der Hochgebirgssonne explodierte förmlich in seinen Augen, als Shan die Höhle verließ. Er taumelte vorwärts und hielt sich schützend die Hand vor das Gesicht, so daß er den Streit eher hörte als sah. Jemand schrie Tan mit unverhohlener Wut an. Während Shan sich den Stimmen näherte, gewann er langsam das Sehvermögen zurück. Er erstarrte.
    Man hatte Tan überrumpelt. Er stand mit dem Rücken in eine Ecke gedrängt, die aus dem Schuppen und einem der Lastwagen gebildet wurde. Die Gestalt, die ihn drangsalierte, schien ihn völlig überrascht zu haben. Er selbst und auch alle anderen Anwesenden auf dem Gelände wirkten wie paralysiert.
    Sein Gegner war nicht nur eine Frau und sprach Englisch, sie hatte zudem porzellanfarbene Haut, kastanienbraunes Haar und war größer als alle Chinesen, die vor ihr standen. Tan sah zum Himmel empor, als hielte er Ausschau nach dem unheilvollen Wirbelwind, der sie abgesetzt haben mußte.
    Shan trat wie betäubt einen Schritt näher. Die Frau trug schwere Wanderstiefel und amerikanische Bluejeans. Ein kleiner, teurer japanischer Fotoapparat hing um ihren Hals.
    »Ich habe ein Recht darauf, wütend zu sein«, rief sie. »Wo ist das Religionsbüro? Wo ist Ihre Genehmigung?«
    Shan ging um die Hütte herum. Neben Tans rotbeflaggter Limousine stand ein weißer Geländewagen mit Allradantrieb. Shan trat hinter das Auto, wo der Oberst ihn nicht mehr sehen konnte, die Stimme der Frau aber noch klar und deutlich zu hören war. Er lauschte ihr mit stiller Freude. Während seiner Pekinger Zeit hatte er einmal pro Woche eine westliche Tageszeitung gelesen, um die Sprachkenntnisse aufzufrischen, die sein Vater ihn heimlich gelehrt hatte. Inzwischen jedoch war es drei Jahre her, daß er zum letztenmal ein englisches Wort gehört oder gelesen hatte.
    »Die Kommission wurde nicht unterrichtet!« fuhr sie fort. »Das Religionsbüro ist nicht vor Ort vertreten! Ich rufe Wen Li an! Ich verständige Lhasa!« Ihre Augen funkelten zornig. Sogar aus sechs Metern Entfernung erkannte Shan, daß sie grün waren.
    Shan ging um den weißen Wagen herum; es handelte sich um einen amerikanischen Jeep, eine sehr viel neuere Ausgabe des Modells, das Feng fuhr. Am Steuer saß ein nervös wirkender Tibeter, der eine Brille mit dickem schwarzen Gestell trug. Auf der Fahrertür befand sich ein Symbol, eine Zeichnung der beiden gekreuzten Nationalflaggen Amerikas und Chinas, die oben und unten auf chinesisch und englisch von den Worten Mine der Sonne flankiert wurde.
    »Sie ist wirklich hübsch, wenn sie wütend wird«, sagte jemand hinter ihm in perfektem Mandarin, aber der Sprachrhythmus war nicht chinesisch.
    Shan glitt zur Seite, um einen Blick auf den Mann zu werfen. Es war ein schlanker, hochgewachsener Westler mit langem strohblonden Haar, das er im Nacken zu einem kurzen Zopf zusammengebunden hatte. Er trug eine Brille mit goldfarbenem Metallgestell und eine blaue daunengefütterte Nylonweste, auf der das gleiche Emblem wie auf dem Wagen zu sehen war. Nachdem er einen amüsierten Seitenblick auf Shan geworfen hatte, richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Frau, zog ein seltsames rechteckiges Objekt aus der Tasche und hob es an den Mund. Es war eine Mundharmonika, erkannte Shan plötzlich, als der Amerikaner ein Lied zu spielen begann.
    Er spielte ganz passabel, aber vor allem spielte er sehr laut. Viele traditionelle amerikanische Lieder waren in China ziemlich beliebt, und Shan erkannte die Melodie sofort. »Home on the Range«.
    Einige der Soldaten lachten. Die Amerikanerin warf ihrem Begleiter einen beleidigten Blick zu. Aber Tan war ganz und gar nicht belustigt. Als die Frau ihre Kamera hob und auf die Höhle richtete, wachte er schlagartig aus seiner Erstarrung auf. Er murmelte einen Befehl, und sogleich sprang einer seiner Männer vor und hielt die Linse des Apparates mit der Hand zu. Der Amerikaner mit der Mundharmonika spielte weiter, aber sein Blick verhärtete sich. Er ging ein paar Schritte auf die Frau zu, als könnte sie seinen Schutz benötigen. Shan sah, wie zwei von Tans Offizieren stillschweigend ihre Position veränderten, so daß sie zwischen dem Amerikaner und der Höhle blieben.
    »Miss Fowler«, sagte Tan auf Mandarin. Er hatte sich wieder gänzlich unter Kontrolle. »Die Verteidigungsanlagen der Volksbefreiungsarmee sind streng geheim. Sie haben kein Recht, sich hier aufzuhalten. Ich könnte Sie jetzt

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