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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Küste, in Dalian, hat er gesagt.«
    »Ankläger Jao wurde in der Nacht auf vorgestern an der Südklaue ermordet«, sagte Shan und behielt bei diesen Worten ihre Augen genau im Blick.
    »Ich habe an dem Abend mit Jao gegessen«, flüsterte Fowler.
    In diesem Moment kam Madame Ko herein.
    »Ich glaube, wir könnten etwas Tee gebrauchen«, schlug Shan vor.
    Madame Ko nickte ernst und ging wieder hinaus.
    Fowler schien etwas sagen zu wollen, doch dann sackte sie nach vorn zusammen und barg das Gesicht in den Händen, bis Madame Ko mit einem Tablett zurückkehrte. Der heiße Tee wirkte anregend genug, um Miss Fowler wieder zu ihrer Stimme zu verhelfen. »Wir haben zusammen an den Investitionsanträgen gearbeitet«, erklärte sie. »An den Einfuhrgenehmigungen und all den anderen Papieren.« Sie sprach mit angespanntem, nervösem Flüstern. »Er war an unserem Erfolg interessiert. Er sagte, er würde mich zum Abendessen einladen, falls wir noch vor Juni in Produktion gingen. Wir haben es geschafft. Zumindest sah es für uns so aus. Letzte Woche rief er an. Er war in Festtagsstimmung und sagte, er wolle das Essen vor seinem Jahresurlaub abhalten.«
    »Wo?« fragte Shan.
    »In dem mongolischen Restaurant.«
    »Um welche Uhrzeit?«
    »Früh. So gegen fünf.«
    »War er allein?« »Nur wir beide. Sein Fahrer wartete im Wagen.«
    »Sein Fahrer?«
    »Balti, der kleine khampa«, bestätigte Fowler. »Er war immer in Jaos Nähe. Jao hat ihn wie einen Lieblingsneffen behandelt.«
    Shan musterte Oberst Tan. War es möglich, daß Tan einen eventuellen Zeugen tatsächlich vergessen hatte?
    »Wohin wollte er nach dem Essen?« fragte Shan.
    »Zum Flughafen.«
    »Haben Sie ihn abfahren sehen?«
    »Nein. Aber er wollte zum Flughafen. Er hat mir sein Ticket gezeigt. Es war ein Nachtflug, aber man braucht bis zu zwei Stunden, um zum Flughafen zu kommen, und er wollte ganz bestimmt nicht riskieren, diesen Flug zu verpassen. Er war ganz aufgeregt wegen der Abreise.«
    »Warum ist er dann in die entgegengesetzte Richtung gefahren?«
    Sie schien ihn nicht gehört zu haben. Offenbar war ihr ein neuer Gedanke gekommen. »Der Dämon«, sagte sie mit plötzlich ausgemergeltem Gesicht. »Der Dämon war auf den Drachenklauen.«
    Es klopfte, und dann trat wieder Madame Ko ein, gefolgt von dem bebrillten Tibeter, den Shan bei der Höhle am Steuer des Wagens der Amerikaner gesehen hatte. Der Mann war nicht besonders groß und hatte dunkle Haut und kleine Augen. Seine ausgeprägten Gesichtszüge ließen ihn irgendwie anders aussehen als die meisten Tibeter, die Shan kannte.
    »Mr. Kincaid«, stieß der Tibeter hervor und hielt Miss Fowler einen Umschlag entgegen. Er bemerkte Tan und richtete seinen Blick sofort zu Boden. »Er sagt, ich soll Ihnen das hier unter allen Umständen sofort geben.«
    Rebecca Fowler stand auf und streckte langsam und zögernd die Hand aus. Der Tibeter ließ den Umschlag hineinfallen und zog sich unterwürfig aus dem Raum zurück.
    Tan sah ihm hinterher. »Einer der Fleisch-Affen arbeitet für Sie?«
    Das war es, erkannte Shan. Der Mann war ein ragyapa aus der uralten Kaste, die sich um die Beseitigung von Tibets Toten kümmerte.
    »Luntok ist einer unserer besten Ingenieure«, sagte Fowler frostig. »Er hat die Universität besucht.« Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das Stück Papier und zuckte überrascht zusammen. Sie ließ das Blatt sinken, starrte Tan wütend an und las es dann ein weiteres Mal. »Was ist nur mit euch los?« fragte sie ungläubig. »Wir haben einen Vertrag, verdammt.«
    Sie sah erst Tan, dann Shan an. »Das Ministerium für Geologie«, verkündete sie in einem Tonfall, der zu verstehen gab, daß Tan ihrer Meinung nach bereits Bescheid wissen mußte, »hat meine Betriebserlaubnis vorerst außer Kraft gesetzt.«
    Die leere Baracke, die man ihnen im Lager Jadefrühling zur Verfügung gestellt hatte, war dermaßen baufällig, daß Shan das Blechdach bei jedem Windstoß tatsächlich erzittern und abheben sehen konnte. Sergeant Feng belegte das einzeln stehende Bett mit Beschlag, das normalerweise dem Unteroffizier der Kompanie zustand, und ließ Shan und Yeshe mit ausholender Geste die freie Wahl zwischen den zwanzig eisernen Etagenbetten, die an den Wänden der Unterkunft aufgereiht waren. Shan ignorierte ihn und begann, seine Akten auf dem Metalltisch auszubreiten, der am Ende der Bettreihen stand.
    »Ich brauche einen Schlüssel zu dem Gebäude«, teilte er Sergeant Feng mit.
    Feng, der in einem

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