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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Schrank nach Bettzeug wühlte, drehte sich kurz um, weil er sich vergewissern wollte, ob Shans Forderung ernst gemeint war. »Halt's Maul.« Er fand sechs Decken, behielt drei, gab zwei an Yeshe weiter und warf die letzte Shan zu Shan ließ sie zu Boden fallen und schritt die Bettreihen ab, um ein Versteck für seine Notizen zu suchen.
    In weniger als dreißig Metern Entfernung stand auf der anderen Seite des Exerzierplatzes das Arrestlokal. Ein vertrockneter Heidebusch wurde über das Gelände geweht. Aus einem Lautsprecher, der an einem Kabel aus seinem zerbrochenen Rahmen hing, drang stotternd eine martialische Melodie, irgendein Militärmarsch, der infolge der atmosphärischen Störungen nicht wiederzuerkennen war. Gruppen von Soldaten hatten sich am Rand des Platzes gesammelt und musterten ärgerlich die neuen Wachen, die vor dem Gebäude Posten bezogen hatten.
    »Kriecher«, wurde Shan von Yeshe voller Bestürzung gewarnt, als sie quer über den Platz auf das Haus zugingen. »Die gehören nicht hierher. Das ist ein Armeestützpunkt.«
    »Wir haben Sie bereits erwartet«, teilte der diensthabende Offizier der Öffentlichen Sicherheit Shan am Eingang kurz und bündig mit. »Oberst Tan hat uns benachrichtigt, daß Sie ein Verhör des Gefangenen durchführen würden.« Währenddessen ließ er den Blick über die drei Männer schweifen und machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung. Er musterte kurz Sergeant Fengs graues Gesicht, erachtete Yeshe sogleich als völlig uninteressant und konzentrierte sich dann auf Shan, der nach wie vor den anonymen grauen Mantel eines leitenden Funktionärs trug. Der Offizier zögerte kurz vor der Tür, als sei er angesichts der Besucher verwirrt, zuckte schließlich aber die Achseln.
    »Bringen Sie ihn dazu, daß er ißt«, sagte er und trat beiseite. »Ich kann dafür sorgen, daß der Spinner nicht abhaut«, fuhr er fort, während er die schwere Metalltür zum Zellenblock aufschloß. »Aber ich kann nicht verhindern, daß er sich zu Tode hungert. Falls er zu schwach wird, schieben wir ihm einen Schlauch in den Magen. Er muß bei Kräften bleiben.«
    Klingt ganz nach jemandem, der den Ablauf der Volksgerichtsprozesse gewöhnt ist, dachte Shan. Von dem Angeklagten wurde erwartet, daß er mit reumütig gesenktem Kopf vor dem Tribunal stand. Die außerordentliche Dramatik der Verhandlung eines Kapitalverbrechens wurde stets noch erhöht, wenn der Angeklagte physische Stärke bewies, weil der Wille des Volkes ihn dann noch deutlicher brechen konnte.
    Der feuchte Korridor stank nach Urin und Schimmel. Zu beiden Seiten befanden sich Zellen, die durch Betonwände voneinander getrennt wurden. Das einzige Licht stammte von trüben Glühlampen, die entlang der Mitte des Gangs hingen. Als Shans Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, erkannte er, daß die Zellen, abgesehen von Metalleimern und Strohsäcken, leer waren. Am Ende des Korridors stand ein kleiner metallener Schreibtisch, an dem eine zusammengesunkene schlafende Gestalt saß, deren Stuhl an der Wand lehnte.
    Der Offizier stieß mit schneidender Stimme eine einzelne Silbe hervor, woraufhin der Mann hastig aufsprang und fahrig salutierte. »Der Unteroffizier wird sich um Ihre Wünsche kümmern«, sagte der Offizier und machte kehrt. »Falls Sie weitere Männer benötigen, stehen meine Wachen zu Ihrer Verfügung.«
    Shan schaute ihm verwirrt hinterher. Weitere Männer? Der Unteroffizier nahm umständlich einen Schlüssel vom Gürtel und öffnete ein großes Schubfach des Schreibtisches. Er winkte einladend. »Bevorzugen Sie eine bestimmte Technik?«
    »Technik?« fragte Shan beunruhigt.
    Das Schubfach enthielt neben einem Haufen schmutziger Lumpen sechs Gegenstände: Ein Paar Handschellen. Einige zehn Zentimeter lange Bambussplitter. Eine große Klemmschraube, die problemlos um das Fußgelenk oder die Hand eines Mannes passen würde. Ein Stück Gummischlauch.
    Einen Zimmermannshammer. Eine Spitzzange aus rostfreiem Stahl. Und den Lieblings-Westimport des Büros, einen elektrischen Viehtreiber.
    Shan kämpfte gegen den Brechreiz an, den er plötzlich verspürte. »Öffnen Sie uns lediglich die Zellentür.« Er schob das Schubfach zu. Yeshes Gesicht hatte sämtliche Farbe verloren.
    Der Unteroffizier und Feng warfen sich belustigte Blicke zu. »Ihr erster Besuch, richtig? Sie werden schon sehen«, sagte der Unteroffizier zuversichtlich und öffnete die Tür. Feng setzte sich auf die Tischkante und fragte den Wachposten nach einer

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