Der fremde Tibeter
verstehen kann, ist Jao mir behilflich.«
»Welche Art von Problem können Sie denn nicht verstehen?«
Fowler seufzte und setzte sich wieder vor Tans Schreibtisch. »Meine Versuchsproduktion hat angefangen. Die kommerzielle Produktion ist für nächsten Monat geplant. Aber zunächst müssen meine ersten Lieferungen von unserem Labor in Hongkong analysiert und freigegeben werden.«
»Ich verstehe immer noch nicht... «
»Jetzt hat das Ministerium die Transporttermine vorverlegt, ohne vorher mit mir Rücksprache zu halten. Die Luftfrachtpläne wurden ohne Mitteilung geändert, die Sicherheitsbestimmungen und bürokratischen Hürden verschärft. Wegen der Touristen.«
»Die Saison hat früh begonnen. Der Tourismus wird zu Tibets größter Devisenquelle. Die Vorgaben wurden erhöht.«
»Als ich diese Stelle übernommen habe, war Lhadrung für Touristen gesperrt.«
»Das ist richtig«, räumte Oberst Tan ein. »Es handelt sich um eine neue Initiative. Bestimmt werden Sie sich freuen, ein paar Ihrer Landsleute zu Gesicht zu bekommen, Miss Fowler.«
Rebecca Fowlers düstere Miene zeugte eher vom Gegenteil. War die Minenleiterin lediglich nicht an Touristen interessiert, oder störte sie sich in erster Linie daran, daß eventuell Amerikaner zu Besuch kommen würden? fragte Shan sich.
»Behandeln Sie mich nicht so gönnerhaft. Es dreht sich lediglich um die Devisen. Wenn man uns nur ließe, würden wir ebenfalls sehr bald Devisen einbringen.«
Tan zündete sich eine Zigarette an und lächelte kalt. »Miss Powler, der erste Besuch von Touristen aus Ihrem Land im Bezirk Lhadrung muß reibungslos über die Bühne gehen. Aber dennoch begreife ich nicht...«
»Um meine Container rechtzeitig auf den Weg zu bringen, benötige ich Doppelschichten. Und ich kann nicht einmal eine halbe Schicht zusammenstellen. Meine Arbeiter trauen sich nicht mehr zu den hinteren Teichen. Manche weigern sich sogar, das Hauptgelände zu verlassen.«
»Ein Streik? Wenn ich mich recht erinnere, hat man Sie davor gewarnt, nur Arbeiter aus der tibetischen Minderheit einzustellen. Sie sind unberechenbar.«
»Das ist kein Streik, nein. Sie sind gute Arbeiter. Aber sie haben Angst.«
»Angst?«
Rebecca Fowler fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Sie sah aus, als hätte sie seit Tagen nicht mehr geschlafen. »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Sie sagen, unsere Sprengungen hätten einen Dämon erweckt. Sie sagen, er sei wütend. Die Leute haben Angst vor den Bergen.«
»Dies ist ein abergläubisches Volk, Miss Fowler«, gab Tan zu bedenken. »Das Büro für Religiöse Angelegenheiten verfügt über Berater, die sich mit den Minderheiten auskennen. Kulturelle Vermittler. Direktor Wen könnte einige davon herschicken.«
»Ich brauche keine Berater. Ich brauche jemanden, der meine Maschinen bedient. Sie haben doch eine Pioniereinheit. Leihen Sie sie mir für zwei Wochen.«
»Sie reden hier von der Volksbefreiungsarmee, Miss Fowler«, rief Tan aufgebracht. »Nicht von irgendwelchen Tagelöhnern, die Sie von der Straße auflesen können.«
»Ich rede von der einzigen ausländischen Investition in Lhadrung. Der größten im östlichen Tibet. Ich rede von amerikanischen Touristen, die in zehn Tagen ein Modellprojekt besuchen sollen. Wenn wir nichts unternehmen, wird sich den Leuten ein katastrophaler Anblick bieten.«
»Ihr Dämon«, sagte Shan plötzlich. »Hat er einen Namen?«
»Ich habe keine Zeit für...«, setzte Fowler ärgerlich an, verstummte dann aber. »Spielt das eine Rolle?«
»Auf der Südklaue wurde eine ähnliche Beobachtung gemacht. Im Zusammenhang mit einem Mord.«
Tan erstarrte.
Fowler reagierte nicht sofort. Ihre grünen Augen richteten sich auf Shan und musterten ihn mit einer durchdringenden Intensität, die der eines Raubvogels glich.
»Ich wußte ja gar nichts von einer Morduntersuchung. Das wird meinen Freund Ankläger Jao bestimmt interessieren.«
»Oh, durchaus. Ankläger Jao war von Anfang an sehr daran interessiert«, erwiderte Shan und ignorierte Tans wütenden Blick.
»Also hat man ihn bereits informiert?«
»Shan!« Tan stand auf und drückte einen Knopf an der Kante seines Tisches.
»Ankläger Jao war das Opfer.«
Tan stieß einen Fluch aus. Er rief nach Madame Ko.
Rebecca Fowler lehnte sich wie betäubt auf ihrem Stuhl zurück. »Nein!« Die Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Verdammt, nein. Sie erlauben sich einen Scherz mit mir«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Nein. Er ist weg. An der
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