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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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geworden. Sie hat ihr Herz an jemanden verloren, sie weiß es nur noch nicht. Es ist doch nicht Alec? Da würde ich mich nicht bemühen. Er ist von der ›Lieb-sie-und-lass-sie-sitzen‹-Sorte. So finden Sie niemals einen Ehemann.«
    »Würden Sie mich einen Moment entschuldigen?«, fragte Ethel, wischte sich mit der Serviette über den Mund und stand auf.
    »Gleich oben die Tür links«, sagte Cora und grinste der Gedemütigten hinterher. Das wird ihr eine Lehre sein, dachte sie. Meinen Mann zu verteidigen! Was für ein schreckliches kleines Ding!
    Ethel stand im Bad, weinte leise und versuchte, die Tränen zu stoppen, bevor ihre Augen und Wangen zu rot wurden. Ihre Gefühle für Hawley waren stärker geworden, ohne dass es ihr bewusst geworden wäre. Sie hatte nie vorgehabt, sich in ihn zu verlieben, sondern ihn von Beginn an eher wie einen Vater betrachtet, jemanden, der den Menschen ersetzte, den sie nie kennengelernt hatte, und nicht als möglichen Liebhaber. Sie war noch ein Baby gewesen, als ihr Vater gestorben war, und ihre Mutter, eine gewalttätige Trinkerin, hatte ihr die Narbe auf der Lippe zugefügt, als sie Ethel als Kind ins Gesicht geschlagen hatte, mit einem kantigen Ring am Finger. Wie Jezebel Crippen hatte sie behauptet, eine gläubige, fromme Frau zu sein, und ihre Tochter zur Gottesfurcht erzogen, nur stand ihr Verhalten in völligem Gegensatz zu ihren Worten. Erwachsen geworden, hatte Ethel nie nach Liebe Ausschau gehalten, nie viel darüber nachgedacht, bis Hawley Crippen sie mit seiner Liebenswürdigkeit überrascht hatte. Mit ihm zusammenzuarbeiten, Seite an Seite, hatte ihr ein neues Gefühl von Sicherheit und Glück verschafft. Wenn er guter Laune war, hatte auch sie einen guten Tag. Aber manchmal kam er und war in gänzlich finsterer Stimmung, völlig unnahbar, dann machte er ihr mit seinem Verhalten fast Angst. Eines wusste sie sicher: Cora Crippen war ein herzloses, böses, gemeines, undurchschaubares Biest. Und scharfsichtig, denn sie hatte natürlich recht. Ethels Herz gehörte jemandem, aber sie konnte ihre Liebe zu Hawley wohl kaum beim Essen zur Feier seines fünfzehnten Hochzeitstages verkünden. Sie gab sich einen Ruck und beschloss, für nicht länger als zwanzig Minuten nach unten zurückzukehren. Dann würde sie sich entschuldigen, heimgehen und niemals mehr in dieses Haus zurückkehren, solange Cora Crippen darin wohnte.
    Sie öffnete die Tür und zuckte erschreckt zusammen, denn der Weg zur Treppe wurde von Alec Heath versperrt.
    »Hallo«, sagte er und zwinkerte ihr zu.
    »Mr Heath«, sagte sie, überrascht, ihn dort zu sehen, so nahe bei der Tür zum Bad.
    »Warum so eilig?«, fragte er. »Sie wollen doch nicht wieder nach unten?«
    »Für eine kleine Weile«, sagte sie. »Was für ein schöner Abend, nicht wahr?«
    »Mach mir nichts vor«, sagte er. »Ich würde Cora nicht weiter beachten. Im Prinzip ist sie ganz in Ordnung, aber sie kann ein ziemliches Biest sein, wenn sie will.«
    »Ich bin sicher …«
    »Mit einem hat sie allerdings recht«, fuhr er fort und drehte sich dabei so, dass sie mit dem Rücken an die Wand gedrückt wurde. »Du solltest nicht so allein sein. Du bist ein hübscher Käfer, weißt du. Auch mit der Narbe.« Er hob die Hand und strich mit einem seiner dicken Finger darüber. Ethel zitterte nervös, sie konnte sich nicht von ihm losmachen.
    »Mr Heath, bitte«, bettelte sie.
    »Psst«, flüsterte er. »Genieß es einfach.« Seine rechte Hand fuhr von der Narbe den Hals hinunter, während er mit der Linken nach ihren Brüsten griff.
    Sie wehrte sich gegen ihn. »Lassen Sie mich!«, rief sie. »Bitte, Mr Heath, lassen Sie mich!«
    »Halt einfach für eine Minute den Mund«, zischte er und drückte sich gegen sie. Sie spürte, wie seine Erregung wuchs, sah zum Treppengeländer und fragte sich, was passieren würde, wenn sie sich da hinunterstürzte. Ob sie es wohl überleben würde. Er ließ einen Moment lang von ihr ab und trat einen Schritt zurück, um seine Hose zurechtzuziehen. Ethel sah die Lücke, die sich zwischen ihnen auftat, und wollte gerade losrennen, als Hawley unten an der Treppe erschien und verwirrt zu ihnen hinaufsah.
    »Ethel«, sagte er, »ist alles in Ordnung?«
    »Ja, Hawley«, sagte sie, machte sich von Alec Heath los und kam zitternd die Treppe herunter.
    Alec schob wütend die Unterlippe vor, als sie ihn hinter sich ließ. »Ethel, kommen Sie zurück, damit wir unsere Unterhaltung beenden können«, sagte er.
    »Nein danke,

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